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Erziehungsfalle: Wie Eltern unbewusst die Bindung zu ihrem Kind schwächen

Kleiner Junge liegt auf dem Fußboden und schaut gelangweilt seine unzähligen Spielautos an, die er vor sich in ordentlichen Reihen aufgebaut hat.
© AdobeStock/ Nina

Geschenke statt Zeit – was das mit Kindern macht

Plagt Eltern ein schlechtes Gewissen, greifen sie manchmal zu einem Trick: Sie schenken ihrem Kind etwas und versuchen so, ihr Gewissen zu beruhigen. Aber was macht es mit Kindern, wenn sie regelmäßig Geschenke bekommen?

Wer berufstätig ist und Kinder hat kennt den Struggle: Trotz bester Organisation und Planung gibt es Tage, manchmal leider auch Wochen, in denen man den Terminen nur hinterherlaufen kann. Man hat kaum Zeit für die Familie, geschweige denn für sich selbst.

Das schlechte Gewissen, mit dem man das Kind auf „später“ und „gleich“ vertrösten muss, wächst dabei von Tag zu Tag. Um dem Nachwuchs zu zeigen, dass er uns keinesfalls egal ist, auch wenn wir mal wieder sehr wenig Zeit haben, greifen wir Eltern gern zu einem Trick: Wir beschenken unser Kind mit etwas, das es sich gewünscht hat. Im besten Fall bekommt es etwas, mit dem es sich lange alleine beschäftigen kann (und gar nicht merkt, dass Mama und/ oder Papa gerade wenig Zeit haben).

In gewisser Weise erkaufen wir uns so Zeit bei unserem Kind, glauben aber, dass es mit einem Geschenk gar nicht schlimm ist, dass wir uns aktuell so rarmachen müssen. Aber was macht es wirklich mit einem Kind, wenn die Eltern ihre wenige Zeit mit Geschenken wiedergutmachen wollen?

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Mangel an emotionaler Bindung

Kommt es mal vor, dass Eltern richtig viel zu tun und richtig wenig Zeit haben, ist das absolut kein Grund, die Beziehung zu seinem Kind zu hinterfragen. Auch dann nicht, wenn man den Mangel an Zeit mit einer kleinen Überraschung für das Kind wiedergutgemacht hat. Ist es jedoch immer öfter die Regel, statt die Ausnahme, dann kann das die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind stören.

Bekommt ein Kind regelmäßig Geschenke für die fehlende Zeit und Aufmerksamkeit durch die Eltern, kann es den Eindruck bekommen, dass materielle Dinge wichtiger sind als emotionale Nähe. Es wird vor allem dem Kind dann sehr schwerfallen, eine echte und tiefe Verbindung zu seinen Eltern aufzubauen. In späteren Freundschaften oder Partnerschaften (auch als Erwachsener) erwartet es womöglich auch, dass Zuneigung und Anerkennung durch materielle Dinge ausgedrückt werden.

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Geringe Wertschätzung für Dinge

Je mehr Geschenke ein Kind bekommt, um so mehr verliert jedes einzelne an Wert. Kommt immer und in regelmäßigen Abständen etwas Neues dazu, verlieren die ‚alten‘ Spielsachen an Attraktivität. Gleichzeitig entwickelt sich eine Erwartungshaltung beim Kind. Es wartet regelrecht auf ein neues Geschenk und knüpft sein Glücklichsein daran.

Das kann zu einer Überbewertung materieller Dinge führen, während immaterielle Dinge wie Freundschaft, Liebe, Beziehungen und Zeit miteinander an Bedeutung verlieren.

Verzerrte Erwartungen und Enttäuschung

Wenn ein Kind regelmäßig Geschenke bekommt, kann es dazu kommen, dass es eine verzerrte Vorstellung davon entwickelt, was Liebe und Anerkennung bedeuten. Geschenke werden nicht mehr als etwas Besonderes, sondern als eine regelmäßige, erwartete Geste wahrgenommen.

Ist es gewohnt, dass Geschenke die Antwort auf Wünsche oder Bedürfnisse sind, könnte das Kind denken, dass es immer etwas Materielles erhalten muss, um Zuneigung zu erfahren oder Anerkennung zu bekommen.

Bleiben Geschenke hingegen aus, führt das unweigerlich zu Enttäuschung beim Kind. Eventuell setzt es die fehlenden Geschenke damit gleich, dass die Eltern ihm keine Zuneigung, Aufmerksamkeit und Liebe mehr geben. Es nagt am Selbstvertrauen des Kindes, denn das Ausbleiben von Geschenken kann ihm suggerieren, dass es plötzlich nicht mehr gut genug ist.

Soziale und emotionale Entwicklung

Eltern sind immer auch Vorbilder für ihre Kinder. Gleichen sie die fehlende Zeit und Aufmerksamkeit für das Kind immer wieder mit Geschenken aus, kann das Kind Schwierigkeiten damit haben, zu verstehen, wie man Beziehungen pflegt oder wie wichtig es ist, Zeit mit- und füreinander zu haben.

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Durch die Beziehung zu ihren Eltern lernen Kinder zudem, wie man miteinander umgeht, wie man Konflikte löst, wie man Mitgefühl zeigt und einander hilft. Sind jedoch häufig Geschenke der Ausdruck für Zuneigung oder Fürsorge, können bestimmte Aspekte der sozialen und emotionalen Entwicklung des Kindes beeinträchtigt werden.

Zudem wird ein Kind, das oft mit Geschenken bei Laune gehalten oder damit belohnt wird, Schwierigkeiten haben, eigene Wünsche und Emotionen zu regulieren. Sind in der Regel Geschenke die Antwort auf seine Bedürfnisse, lernt ein Kind, dass es schnell bekommt, was es will. Geduld lernt es nicht. Genauso wenig lernt es, sich selbst zu helfen oder auch mit Enttäuschungen umzugehen.

Auch die Eltern leiden

Wer von Termin zu Termin hastet und viel lieber mit dem Nachwuchs Zeit verbringen würde, hat unweigerlich ein schlechtes Gewissen. Und ganz sicher ist es nicht egal, wie viel Zeit Eltern und Kind miteinander verbringen. Aber die Dauer ist nicht alles. Viel wichtiger als die zeitliche Länge ist die Art und Weise, wie wir die Zeit miteinander verbringen.

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Wer seinem Kind in den 15 Minuten am Morgen und den 30 Minuten am Abend seine volle Aufmerksamkeit schenken kann, kann es dennoch schaffen, eine gute, ehrliche und tiefe Verbindung zum Kind aufrechtzuerhalten. Selbst, wenn die Zeit gerade nicht für mehr als ein paar Minuten morgens und abends reicht, sind diese gemeinsamen Minuten immer noch mehr Wert als ein neues Spielzeug. Das kann also getrost im Ladenregal liegen bleiben.

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