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Geschlechtsidentität und Erziehung: Warum Eltern eigene Erwartungen loslassen sollten

Geschlechtsidentität erklärt
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Zur Persönlichkeitsentwicklung gehört, herauszufinden, wer man ist, wie man leben und auch lieben will. Die Geschlechtsidentität spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber was ist das überhaupt und wie kann man als Eltern reagieren, wenn das eigene Kind von der sogenannten 'Norm' abweicht?

Bei der Geburt der meisten Kinder ist augenscheinlich klar zu sehen, welchem Geschlecht sie angehören. Das sogenannte biologische Geschlecht legt fest, Kinder mit einem Penis sind männlich und Kinder, die mit einer Vulva geboren werden, sind weiblich. Bei Kindern, die beide Geschlechtsmerkmale aufweisen, waren Eltern lange Zeit gezwungen, festzulegen, ob ihr Baby ein Junge oder ein Mädchen ist. Denn, das Geschlecht eines Kindes wird zum einen auf der Geburtsurkunde vermerkt, aber immer auch im Geburten-Register der Stadt oder Gemeinde.

Seit 2018 ist es möglich, bei Kindern, die mit beiden Geschlechtsmerkmalen geboren werden (Inter-Sexualität), auch den Vermerk ‚divers‘ setzen zu lassen oder ‚keine Angabe‘ zu machen. So soll dem Kind die Möglichkeit gegeben werden, selbst herauszufinden, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.

Und genau das ist der Kern der Geschlechtsidentität. Sie berücksichtigt nicht das biologische Geschlecht, um zu bestimmen, ob man Junge oder Mädchen, Mann oder Frau ist, sondern das Empfinden der einzelnen Person. Wie fühlt sich ein Mensch, eher als Mann oder als Frau? Oder kann er sich keinem der beiden eindeutig zuordnen?

Welche Geschlechtsidentitäten es gibt und wie Eltern reagieren sollten, wenn ihr Kind von der gesellschaftlichen ‚Norm‘ abweicht, das wollen wir versuchen zu erklären.

Welche Geschlechtsidentitäten gibt es?

Die Geschlechtsidentität sagt aus, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig fühlt. Er kann sich männlich oder weiblich fühlen, aber auch irgendwo dazwischen. Es gibt auch Menschen, die wollen oder können sich gar nicht festlegen. Genau das macht es ’so schwer‘ Geschlechtsidentitäten festzulegen oder eine Zahl zu nennen, die bestimmt, wie viele Geschlechtsidentitäten es gibt. Besonders gängige Bezeichnungen sind:

Cis-Gender
Stimmen biologisches Geschlecht und Geschlechtsidentität überein, spricht man vom Cis-Gender, kurz Cis. Es gibt Cis-Männer und Cis-Frauen.

Trans-Gender
Stimmen biologisches Geschlecht und Geschlechtsidentität nicht überein, fühlt sich beispielsweise ein Mensch mit männlichen Geschlechtsorganen wie eine Frau, spricht man von Transgender, oder kurz trans. Eine Trans-Frau ist eine Frau und ein Trans-Mann ist ein Mann.

Nicht-binär/ genderqueer
Wer sich unabhängig seines biologischen Geschlechts weder männlich noch weiblich fühlt, ist nicht-binär oder genderqueer.

Genderfluid
Für genderfluide Menschen ist das Geschlecht etwas Fließendes, Bewegliches, etwas, das sich stets verändern und wandeln kann. Mal fühlen sie sich männlicher, mal weiblicher.

Neben diesen gängigen Geschlechtsidentitäten gibt es noch viele weitere. Bigender Personen beispielsweise identifizieren sich mal als Mann, mal als Frau, haben also zwei Geschlechtsidentitäten. Diese können sich abwechseln oder auch gleichzeitig da sein.

Agender Personen fühlen sich gar keinem Geschlecht zugeordnet. Sie haben keine Geschlechtsidentität bzw. grenzen das Geschlecht bewusst von ihrer Identität ab. Es gibt Menschen, die sich als Neutrois bezeichnen, die also eine neutrale Geschlechtsidentität haben und viele weitere.

Wie ein Mensch sich fühlt und identifiziert, ist aber keine Frage einer Kategorie, Bezeichnung oder der vermeintlichen Norm. Die Geschlechtsidentität ist immer etwas ganz Persönliches, das benannt werden kann, aber nicht benannt werden muss.

Geschlechtsidentität bei Kindern

Mit dem Tag der Geburt wird dem Großteil der Menschen bereits ein Geschlecht gegeben. Und die meisten werden mehr oder weniger nach diesem biologischen Geschlecht erzogen. Für Cis-Menschen stellt das in der Regel kein Problem dar. Für alle anderen Geschlechtsidentitäten kann es aber zu einem Problem werden, wenn sie fühlen, dass sie anders sind als andere Menschen. Deshalb ist es wichtig, dass die Familie dem Kind Rückhalt bietet.

In einem Ratgeber für Eltern empfehlen die SOS Kinderdörfer weltweit:

1. Dem Kind zu helfen, seine Identität zu finden

Das ist manchmal leichter gesagt als getan. Schließlich hat man als Eltern Erwartungen und auch Vorstellungen für das Kind und seinen Lebensweg. Wichtig ist aber, dass man sich davon frei macht und sich stattdessen immer wieder fragt, „Wie kann ich mein Kind dabei unterstützen, dass es ganz es selbst wird und seine Persönlichkeit findet, ohne den Erwartungen anderer gerecht werden zu wollen?“

2. Eine belastbare Bindung aufzubauen

Vor allem für homo- oder transsexuelle Jugendliche, die vielleicht Spott und Ablehnung erfahren müssen, sollte die eigene Familie ein Rückzugsort sein, der Unterstützung bereithält. Wer sich sicher sein kann, dass die Familie ein sicherer Hafen ist, übersteht schwierige Zeiten besser.

3. Eigene Erwartungen loszulassen

Als Eltern will man nur das beste für das eigene Kind. Man hat Erwartungen und Vorstellungen für sein Leben, die leider komplett konträr zu denen des Kindes sein können. Deshalb sollte man sich als Eltern von diesen Erwartungen lösen und das Kind auch mal machen lassen.

4. Sich selbst immer wieder zu reflektieren

Als Teil einer Gesellschaft übernimmt der Großteil von uns automatisch gewisse Normative. Diese sollten wir jedoch nicht als gegeben ansehen, sondern immer wieder hinterfragen.

5. Eigene Sorgen nicht auf das Kind zu übertragen

Wir Eltern wollen, dass es unseren Kindern gut geht, dass sie sicher sind und auch, dass sie sich angenommen fühlen. Gerade letzteres macht Eltern Sorgen, wenn das Kind nicht ‚der Norm‘ entspricht und vermeintlich auffällt. Doch statt diese Sorgen mit dem Kind zu teilen, sollte man die Stärke des Kindes sehen und es in seiner Selbst unterstützen. Sätze wie, „Du schaffst das“ oder „Ich vertraue dir“ sind da Gold wert.

6. Offen für Gespräche zu sein

Ab einem gewissen Alter oder zu bestimmten Themen kann es Kindern schwerfallen, sich mit Fragen oder Ängsten an die Eltern zu wenden. Deshalb ist es wichtig, dass man sie wissen lässt, dass man immer da und immer bereit ist zuzuhören.

7. Sich Hilfe zu holen, wenn es nötig ist

Kein Mensch ist unfehlbar und niemand muss alles alleine lösen. Stößt man an seine Grenzen, sollten sich Kinder und Eltern immer Hilfe holen, in Form von Freund*innen oder auch in Form eines Therapeuten oder einer Therapeutin.

Mehr Informationen zum Thema und Hilfsangebote findet ihr unter anderem auf diesen Seiten:

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Bundesministerium für wirtschaftlcihe Zusammenarbeit und Entwicklung
Regenbogenportal.de
Frauenärzte im Netz
Hilfetelefon für Eltern
Telefonberatung für Kinder und Jugendliche
Antidiskriminierungsstelle des Bundes
profamilia

Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll Leser*innen einen Überblick geben. Solltet ihr massive Probleme und Sorgen haben, scheut euch nicht, euch professionelle Hilfe zu holen. Niemand muss alle schwierigen Phasen im Leben alleine durchstehen können. In diesem Sinn: Alles Gute und passt auf euch auf!