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Üben für den Notfall: Müssen Amokalarm-Übungen für Kinder sein?

Bild eines leeren Schulflurs mit Sonnenlicht, das durch die Fenster auf der rechten Seite leicht hineinscheint.
© AdobeStock/ Anatthaphon

Vorab im Video: 5 Sätze, mit denen Kinder indirekt um Hilfe bitten

Amoktaten von Schülern gibt es auch in Deutschland. Statistisch sind sie unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Sollten Schulen deshalb den Amokfall üben? Ist das wirklich nötig?

Bisher sind meine beiden Kinder (11 und 14 Jahre) sehr unbescholten durchs Leben gegangen. Keine großen Unfälle, Unglücke oder andere schwierige Lebenssituationen. Auch ihr Schulleben war, mit kleinen Komplikationen in der Coronakrise, bisher von großer Leichtigkeit geprägt. Gott sei Dank. Für sie und auch für uns Eltern.

Vermutlich hat mich eine Schulmail gestern auch deshalb mit so unvermittelter Härte getroffen. Denn darin stand, dass die Schule in den kommenden Tagen den Amokalarm mit allen Schüler*innen üben will. „Angesichts der Amok-Alarmsituationen an Schulen der Umgebung“, habe man sich zu diesem Schritt entschieden, heißt es.

Verhaltensregeln im Amokfall

Im Anhang der Nachricht finden sich auch direkt die Verhaltensregeln, die während eines Amokalarms für Schülerinnen, Schüler und Lehrende gelten. Diese lauten:

  • Im Raum bleiben!
  • Auf den Boden legen!
  • Weg von Fenstern und Türen!
  • Handy ausschalten/ nicht benutzen!
  • Anweisungen der Lehrperson befolgen!
  • Ruhe bewahren und absolut still sein!

Ein bedrückender Gedanke, dass Kinder diese Verhaltensregeln tatsächlich üben müssen.

Amokalarm! Allein dieses Wort jagt mir Angst ein. Unvorstellbar der Gedanke, dass so etwas tatsächlich passieren kann. Und doch ist es Realität. Es ist statistisch zwar unwahrscheinlich, dass eine Schule zum Ort eines Amoklaufs wird, aber eben nicht ausgeschlossen. Ist es also nur folgerichtig, Kinder darauf vorzubereiten?

„Klar“, sagt mein Mann recht nüchtern. „Ist doch gut, wenn die Kinder wissen, was sie machen müssen im Ernstfall.“ Vielleicht hat er damit recht. Vielleicht verhindert die Vorbereitung eine Panik.

Helfen Amokübungen oder verbreiten sie Angst?

Aber schürt man so nicht auch Ängste? Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Amokübung an jedem Kind spurlos vorübergeht. Schon gar nicht an Kindern, die bereits Erfahrungen mit Gewalt oder Krieg machen mussten.

Kinder sollten deshalb nicht nur lernen, wie sie sich im Notfall verhalten sollten, sondern auch, wie sie selbst es verhindern können, dass es zu einem Amoklauf kommen kann. Das ‚Davor‘ ist nämlich entscheidend.

Wie Diplom-Psychologe Dr. Jens Hoffmann im Interview mit tagesschau.de erklärt, seien Amoktaten immer geplant: „[…] alle Taten sind vorher geplant: viele Monate, einige sogar über Jahre. Die Vorstellung, dass beim Amoklauf jemand ausrastet, ist komplett falsch. Solche Taten sind von kühler Kalkulation und Vorbereitung gekennzeichnet…“

Oft, so der Psychologe, gebe es vorher Andeutungen, Äußerungen und Zeichen von Seiten des Täters. „Fast alle Täter kommunizieren ihre Absicht im Vorfeld, zumeist gegenüber Gleichaltrigen, oft im Internet“, so Hoffmann in einem Interview mit wissenschaft.de. Eventuell nimmt das Umfeld diese Andeutungen sogar wahr, weiß sie aber nicht richtig zu deuten oder einzuordnen. „Man sollte auf solche Zeichen eher zu viel als zu wenig achten“, rät der Experte.

Wissen über Warnsignale bietet Schutz

Statt Schülerinnen und Schüler also präventiv in Übungen auf eine eigentlich unvorstellbare Situation vorzubereiten, sie möglicherweise zu verängstigen, mindestens aber großem Stress auszusetzen, sollte man sie zu Mitwissenden über Warnsignale eines Amokläufers machen. Denn Warnsignale gibt es immer, so Hoffmann. Man müsse sie nur zu erkennen wissen.

Die Schule spielt hier eine große Rolle. Sie sollte ein Ort sein, in dem Schüler*innen einander helfen, aufeinander aufpassen und sich unterstützen. Schüler*innen müssen wissen, wem sie sich mit Sorgen anvertrauen können. Wem sie zum Beispiel schildern können, dass sich ein (ehemaliger) Mitschüler eigenartig geäußert hat. Sie müssen lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen und Methoden kennenlernen, Frustration auszuhalten und zu bewältigen.

Das sind präventive Maßnahmen, die Schülerinnen und Schüler schützen. Denn sie können dazu beitragen, dass es gar nicht erst dazu kommt, dass ein Jugendlicher keinen anderen Ausweg sieht, als die Leben Gleichaltriger und damit oft sein eigenes zu beenden.

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