Inhaltsverzeichnis
- Weibliche Genitalverstümmelung wird auch in Deutschland durchgeführt
- Mädchen und Frauen dürfen nicht in ihren Menschenrechten verletzt werden
- 6. Februar: Internationaler Tag der Nulltoleranz für weibliche Genitalverstümmelung
- Die Bundesregierung erlässt neues Dokument zum Schutz von Mädchen und Frauen
- Weibliche Genitalverstümmelung hat durch Corona zugenommen
- Wo finden Betroffene Hilfe?
Weibliche Genitalverstümmelung, kurz FGM (female genital mutilation), betrifft auch deutsche Frauen und Mädchen. Das mag für viele überraschend sein, denn das Thema verbinden die meisten sicherlich mit anderen Ländern.
Dabei ist der Straftatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien seit 2013 sogar im Strafgesetzbuch verankert. Vorher lediglich als Körperverletzung unter den §§ 223 ff. StGB als Körperverletzung fallend, ist der jetzige Strafrahmen deutlich höher angesetzt.
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§ 226a StGB besagt, dass die Verstümmelung weiblicher Genitalien, mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bzw. in minder schweren Fällen mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird. Als Höchststrafe wird ein Freiheitsentzug bis zu 15 Jahren angesetzt. Trotzdem sind die aktuellen Zahlen in Deutschland alarmierend.
Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Bmfsfj) leben alleine in Deutschland 67.000 Frauen, an denen eine Genitalverstümmelung vorgenommen wurde. 17.200 Mädchen sind davon bedroht (Stand: Februar 2023).
Die Dunkelziffer laut TERRE DES FEMMES ist mit fast 103.900 Frauen und Mädchen deutlich höher. Vor allem junge Frauen aus afrikanischen, arabischen sowie südostasiatischen Ländern wie Indonesien oder Malaysia sind auch in Deutschland von FGM betroffen oder gefährdet.
Doch wie kann das sein, in einem Land, in dem so etwas gesetzlich verboten ist? Mitverantwortlich dafür ist die aktuelle Flüchtlingssituation. Die Zahl der Frauen und Mädchen, die aufgrund von Flucht oder Migration in unser Land kommen, steigt seit Jahren.
Laut Caritas-Angaben ist die Zuwanderung von Betroffenen aus Ländern, in denen FGM durchgeführt wird, von Ende 2014 bis Mitte 2016 um 40 % gestiegen. Viele Familien halten aber auch in Deutschland an ihren Traditionen fest und lassen eine weibliche Genitalverstümmelung durchführen.
Weibliche Genitalverstümmelung wird auch in Deutschland durchgeführt
Während die meisten Mädchen und Frauen in ihren Heimatländern beschnitten werden, gibt es auch in Deutschland immer noch einige Ärzte oder medizinisches Personal, die die Eingriffe durchführen, so Dr. Sabine Müller, Ärztin der Beratungsstelle „Balance“. Meist passiert das natürlich gegen genügend Bezahlung. Trotzdem wird ein Großteil der Betroffenen in ihre Heimatländer gebracht.
Oft wird die Genitalverstümmelung mit einer langen und tief verankerten Tradition sowie einem kulturell ausgeprägtem Rollenverständnis von Frauen, Ehe und Sexualität gerechtfertigt. In muslimisch geprägten Ländern wird die FGM auch als religiöse Pflicht angesehen.
Anders in afrikanischen Ländern: Hier gilt die Entfernung des äußeren Genitals als Zeichen der Schönheit. In Mali oder Burkina Faso wird die Klitoris dagegen als männliches Symbol aufgefasst und deswegen entfernt.
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Mädchen und Frauen dürfen nicht in ihren Menschenrechten verletzt werden
Auch wenn die Gründe vielseitig sind und in langer Tradition für die Familien ihre „scheinbare Berechtigung“ haben, kann es nicht angehen, dass junge Mädchen und Frauen ihr Leben lang darunter leiden müssen.
Frauen und Mädchen haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf sexuelle Selbstbestimmung und auf Schutz vor Gewalt und Diskriminierung. Durch eine weibliche Genitalverstümmelung wird ihnen vieles genommen. Sie werden in ihren Menschenrechten verletzt. Das kann und darf nicht sein.
In einem schmerzhaften Verfahren wird ihnen nicht nur in dem Augenblick viel Leid angetan, auch später leiden die Betroffenen unter den Folgen – psychisch und physisch. Eine FGM ist schmerzvoll und traumatisierend. Meist findet der Eingriff ohne Narkose statt, sodass die Mädchen und Frauen alles spüren. Direkte Folgen können starker Blutverlust, Infektionen und natürlich Schmerzen sein.
Langfristig können die Mädchen und Frauen unter einem verminderten sexuellen Empfinden, einer erhöhten HIV-Infektion sowie Schädigungen der reproduktiven und sexuellen Organe leiden. Bis hin zur Unfruchtbarkeit, Komplikationen bei einer späteren Geburt sowie Todesfällen bei Neugeborenen.
Hinzu kommen die psychischen Langzeitfolgen der jungen Frauen. Angstzustände, Schamgefühl, Depressionen oder auch Partnerschaftskonflikte sind für die Betroffenen keine Seltenheit.
6. Februar: Internationaler Tag der Nulltoleranz für weibliche Genitalverstümmelung
Die Vereinten Nationen legten den 6. Februar jetzt als Internationalen Tag der Nulltoleranz für weibliche Genitalverstümmelung fest. Damit rücken sie das Schicksal von zahlreichen Frauen und Mädchen nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland, in den Fokus und erinnern daran, wie wichtig es ist, Aufklärungsarbeit zu leisten und die Betroffenen zu schützen.
Die Bundesregierung erlässt neues Dokument zum Schutz von Mädchen und Frauen
Auch wenn das Gesetz gegen weibliche Genitalverstümmelung bereits 2013 in Kraft getreten ist, zeigt sich heute umso mehr, dass das manchmal nicht ausreicht. Zum internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung, der jedes Jahr am 6. Februar stattfindet, stellte Bundesfrauenministerin Franziska Giffey einen Schutzbrief vor, der gefährdete Frauen und Mädchen im Ausland schützen soll.
Dieses so wichtige Dokument ist in enger Abstimmung mit Nichtregierungsorganisationen, den Ländern sowie den zuständigen Ressorts der Bundesregierung entstanden. Der Schutzbrief informiert darüber, dass FGM in Deutschland unter Strafe steht, auch wenn die „Operation“ im Ausland vorgenommen wird. Er soll die Menschen in den Ländern sensibilisieren und warnen.
Genau heißt es im Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung: „Weibliche Genitalverstümmelung wird auch bestraft, wenn die weibliche Genitalverstümmelung im Ausland durchgeführt wird und der Täter oder die Täterin Deutscher oder Deutsche ist, oder das Mädchen oder die Frau, an der die weibliche Genitalverstümmelung durchgeführt wird, Deutsche ist oder sie in Deutschland ihren Wohnsitz oder ihren Lebensmittelpunkt hat.“
Auch die Helfer im In- oder Ausland sowie die Eltern, die ihre Töchter vor einer FGM nicht beschützen, machen sich strafbar. Ihnen kann außerdem ihre Einreise nach Deutschland verweigert werden, bzw. eine bestehende Aufenthaltserlaubnis kann gelöscht werden. Bundesministerin Giffey erklärt weiter: „Der Schutzbrief macht Familien deutlich, dass das deutsche Recht bei dieser archaischen Straftat nicht an unseren Landesgrenzen Halt macht und weist sie auf die ernsthaften Konsequenzen hin.“
Den Schutzbrief können alle Betroffenen unter anderem hier auf der Seite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend herunterladen.
Weibliche Genitalverstümmelung hat durch Corona zugenommen
Auch, wenn die weibliche Genitalverstümmelung in vielen Ländern verboten ist und viel Aufklärungsarbeit geleistet wird, hat die Zahl der Betroffenen seit der Corona-Pandemie wieder zugenommen.
Elyane Schwarz-Lankes, Referentin im Bereich Entwicklungszusammenarbeit bei der Stiftung Menschen für Menschen, erklärt dazu: „Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie führen im Umkehrschluss leider dazu, dass essenziell wichtige Aufklärungsveranstaltungen und Workshops mit den Wortführern und religiösen Oberhäuptern der Dörfer in den ländlichen Projektgebieten der Stiftung Menschen für Menschen aufgrund der Abstandsregeln nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden können. Das Gleiche gilt für Umschulungen von ehemaligen Beschneiderinnen, damit diese nicht mehr auf das Einkommen aus den Beschneidungen angewiesen sind.“
Auch die Schulschließungen in den betroffenen Gebieten führten dazu, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von FGM nicht erfolgreich waren. „Viele Familien sind in der Zeit in traditionelle Verhaltensweisen zurückgefallen. Mädchen wurden wieder früh verheiratet, die Tür zum Bildungssystem damit geschlossen.
Während der Schulschließungen fehlen wichtige Schutzmechanismen, Lehrer:innen und Sozialarbeiter:innen haben die Mädchen nicht mehr im Blick“, erklärt Schwarz-Lankes weiter. Es gibt also noch viel zu tun und daher ist es umso wichtiger, die Öffentlichkeit auf dieses Thema aufmerksam zu machen.
Wo finden Betroffene Hilfe?
Wer in Deutschland von weiblicher Genitalverstümmelung gefährdet ist, kann über das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der kostenlosen Nummer 08000 – 116016 Unterstützung erhalten.
Ebenso gibt es in Deutschland einige Beratungsstellen für betroffene Mädchen und Frauen. Diese bieten Schutz und Hilfe für Betroffene und Angehörige, leisten aber auch Aufklärungsarbeit und sensibilisieren Fachkräfte wie Ärzte und Hebammen.
Eine Liste mit Ansprechpartnern bundesweit kann hier eingesehen werden.
Wichtig ist, dass wir in Deutschland ein Bewusstsein für diesen Missstand entwickeln. Weibliche Genitalverstümmelung findet nicht nur im Ausland statt, sondern mitten unter uns. Auch wenn die Zahlen in Deutschland im Gegensatz zu den weltweit betroffenen 200 Millionen Mädchen und Frauen gering erscheinen, dürfen wir nicht die Augen davor verschließen.
Solche Missstände müssen an die Öffentlichkeit gebracht werden, damit den Mädchen und Frauen geholfen werden kann. Nur so finden die Betroffenen vielleicht irgendwann den Mut und das Selbstbewusstsein, sich zu wehren und Hilfe anzunehmen.
Quellen:
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
- TERRE DES FEMMES
- Deutscher Bundestag: Wissenschaftliche Dienste
- Internationale Gesellschaft für Menschenrechte
- Bundeszentrale für politische Bildung
- World Health Organization
- Caritas Deutschland
- Plan International
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