Die Zahlen sind gigantisch: Lara Sophie Botur erreicht im Jahr 400 Millionen Menschen auf LinkedIn. Die 28-Jährige postet Themen und News aus der Tech-Welt und gilt als Deutschlands erste Corporate Vollzeit-Influencerin.
Im Interview mit Yvonne Weiß spricht sie über ihren Job, der aufgrund des Algorithmus keinen Feierabend und keine Ferien kennt, und wie sie den größten Albtraum ihrer noch jungen Karriere überstanden hat
Kennst du den LinkedIn Algorithmus besser als alle anderen?
„Ich würde sagen, ja! Ich habe mir in den letzten zweieinhalb Jahren ein umfangreiches Wissen aufgebaut und durch ein klassisches Learning by Doing angeeignet, wie diese Plattform funktioniert. Ich konnte ein Gefühl entwickeln für die Algorithmen hinter der Plattform, und es macht großen Spaß, dieses Verständnis zu teilen.“
Tatsächlich arbeitest du sehr transparent. Machst Live-Postings, bei denen man dir dabei zusehen kann, wie du Reichweite schaffst. Zum Female Future Force-Day 2024 von EDITION F und FUNKE hast du zehn Frauen aus deiner Community mitgebracht, um ihnen ein Forum zu bieten (#tenmorein). Eine hat daraufhin ein Jobangebot erhalten, eine andere wird in einem Zeitschriften-Artikel vorgestellt werden. Warum machst du das?
„Die Transparenz hat auch damit zu tun, dass Anfang des Jahres die Welt über mir zusammenzubrechen schien, als Kritik aufkam, mein schnelles Wachstum sei nicht normal. Viele haben nicht verstanden, wie ich in so kurzer Zeit Follower*innen gewinnen konnte.
Jetzt teile ich mein Wissen, um zu zeigen: Man kann erfolgreich sein, ohne zu betrügen! Ich teile es besonders gerne mit anderen Frauen, damit sie sichtbarer werden, vor allem Frauen in der Tech Branche.
Wenn sie beispielsweise mit meiner Hilfe etwas posten, dann kann ich helfen, dann habe ich einen direkten Impact. Ich möchte nicht nur über Female Empowerment sprechen, sondern auch etwas tun.“
Warum ist dir Female Empowerment denn wichtig?
„Ich erkläre das an einem Beispiel: Auf dem SHEconomy Event in Wien standen fünf Mädchen vor mir, die waren 18, 19 und haben mich angeguckt, mit großen Kulleraugen und mich gefragt, was sie werden sollen nach der Schule. ‚Frag ChatGPT, woher soll ich das wissen?‘, habe ich erst gedacht. Aber sie schauten mich so erwartungsvoll an, und ich habe mich an mich selbst erinnert in dem Alter.
Ich wusste zu der Zeit genauso wenig, wohin die Reise gehen soll, da wäre eine helfende Hand gut gewesen – oder ein Netzwerk. Wir müssen noch viel mehr miteinander sein in dieser Gesellschaft. Das braucht auch Deutschland, um wettbewerbsfähig zu bleiben, das können wir nur, indem wir unser Wissen teilen, uns gegenseitig unterstützen und mehr über das große Ganze nachdenken anstatt jeder nur an sich.“
Wie wettbewerbsfähig ist unsere Digitalbranche?
„Wir sind noch nicht divers genug. Verena Pausder vom Startup-Verband hat erzählt, derzeit werden nur zwei Prozent der Startup Investments in Frauen investiert. Da ist noch viel Luft nach oben. Wir haben tolle junge Talente und Startups in Deutschland, die müssen wir mehr erkennen. Es muss mehr Kollaboration stattfinden und Support.
Auf der ‚Bits and Pretzels‘ etwa haben wir zwei Startups nach vorne geholt auf die Bühne, die ihren QR-Code in die Kamera gehalten haben. Da waren Investoren und Corporates, und der eine bekam gleich 300 neue Kontakte und ein Interview. Da merke ich direkt, was helfen wird.“
Würden auch mehr Frauen in der Branche helfen?
„Auf jeden Fall. Es geht um die Balance. Technologie kennt kein Geschlecht, keine Hautfarbe, keine Kultur. Technologie ist nur das, was wir eingeben. Bias ist kein technischer Fehler, das ist ein menschlicher Fehler, das heißt, wir müssen die Technologie mit ausreichend Datensätzen füllen, die divers genug sind, und ich sage immer: ‚Before we program our future, we need to program ourselves‘. Das heißt, wir müssen erstmal bei uns selber anfangen, divers genug zu sein und divers genug zu denken.“
Posten Männer und Frauen unterschiedlich?
„Frauen betreiben mehr Storytelling. Es gibt natürlich auch Männer, die gutes Storytelling beherrschen, aber wir sind das kommunikativ stärkere Geschlecht. Deshalb wären mehr Frauen oder auch Menschen, die keinen MINT-Studiengang abgeschlossen haben, so wichtig für die Tech Branche.
Da braucht es mehr Kommunikator*innen, mehr Übersetzer*innen zwischen der Technologie und der Gesellschaft sowie den Tech-Expert*innen und den Business-Entscheider*innen. Am Ende geht die Technologie uns alle etwas an, und wir alle müssen sie verstehen.“
Hätten wir mehr oder bessere Kommunikation über Technologie, würden vielleicht auch die Vorbehalte, die bei manchen in Bezug auf KI herrschen, verschwinden.
„Absolut. Am Ende des Tages können wir Angst nur nehmen, indem wir miteinander sprechen, und das mache ich auch, ich antworte auf alle Kommentare selbst und bekomme so die Gefühle von den Menschen mit. KI wird nicht unseren Job wegnehmen, nur Tätigkeiten. KI brauchen wir, um den Fachkräftemangel überhaupt beheben zu können. Wir müssen noch mehr über KI im Alltag nachdenken.
Ich war zum Beispiel letztens mit einer Freundin im Urlaub. Vor der Rückreise stand plötzlich Wasser im Geschirrspüler, wir mussten dringend zum Flughafen, meine Freundin wollte das Wasser rausschöpfen, das hätte ewig gedauert.
Ich habe mein Handy gezückt, ein Foto gemacht vom Wasser und von den Knöpfen und meinte so: ‚Was muss ich drücken, damit das abläuft?‘ Dann hat ChatGPT mir den Knopf gezeigt, ich hab drauf gedrückt und fertig.
Wir müssen KI in unserem Gedankenspektrum im Alltag inkludieren und im Business immer dann, wenn wir eine repetitive Aufgabe haben. Aus einer unserer Deloitte-Studien ging hervor, dass Marketing-Experten, die Content generieren können, 11,4 Stunden einsparen pro Woche, wenn sie KI dafür nutzen.
Natürlich greife ich auch auf KI zu, wenn ich meinen Content generiere, aber nur als Co-Pilot, als kleine helfende Hand. Denn die Botschaften und Inhalte, die bleiben bei mir. Ich darf im Jahr 400 Millionen Menschen auf LinkedIn erreichen. Dieses Geschenk lasse ich mir nicht nehmen, das gebe ich nicht an die KI ab.“
Du hast deinen großen Albtraum Anfang des Jahres angesprochen. Hast du den inzwischen überwunden, oder hängt da noch was nach?
„Ich habe es überwunden, doch ich habe es nicht vergessen. Einen Schock vergisst man nicht. Man kennt ja viele Gefühle, so wie verliebt sein, glücklich, traurig, wütend, aber Schock kennt man nicht so sehr und das war keine schöne Emotion.
Es hat mich schon sehr bewegt, ich bin da wirklich einmal durchs Tal gegangen und habe mitgenommen, dass Sichtbarkeit eben nicht nur eine positive Seite hat, es gibt immer die Licht- und die Schattenseite, aber am Ende des Tages lohnt es sich, sichtbar zu werden. Jetzt habe ich das Gefühl, noch stärker und resilienter zu sein.“
Welche Rolle hat Neid bei diesem Vorwurf des Betrugs gespielt?
„Manche haben sich mit mir verglichen, ich will das aber gar nicht kommentieren. Es zeigt allerdings, wie wir in Deutschland denken. Da ist ein junges Talent, das was Neues ausprobiert und ist damit sehr erfolgreich. Dann zu denken: Das kann ja nicht sein, es muss Betrug sein. Was sagt das über uns aus?
Es gab viele Personen, für die das ein gefundenes Fressen war. Eine hat sich später sogar bei mir entschuldigt. Sie hätte nicht gedacht, dass es so eine Konsequenz nach sich zieht. Aber das war die einzige Person, die sich bislang entschuldigt hat.
An diesem Shitstorm sehen auch andere, die was wagen: Du musst durch viele neue Türen und weißt nie, hinter welcher Tür ein kleines Monster sitzt. Bei mir war es halt ein großes Monster, ich hab es gesehen und geschafft, daran vorbeizukommen und jetzt gehe ich durch die nächste Tür. Damit hab ich einen Weg geebnet für andere junge Talente.“
Wie kann man deine Aufgabe Corporate Influencing als Wert für ein Unternehmen sichtbar machen?
„Auf LinkedIn zum Beispiel liegt der Tausender Kontaktpreis bei 30 Euro, das heißt 1000 Kontakte kosten 30 Euro, das ist deutlich mehr wert als bei Instagram, weil es eine viel qualitativere Community ist, nämlich Business-Kontakte.
Wenn ich das hochrechne auf die 400 Millionen Personen, die ich im Jahr erreiche, dann liegt der Wert des Ad-Value bei zwölf Millionen Euro. Mitarbeitende können außerdem authentischer über ihre Arbeit und die Produkte reden als jeder andere. Die selbständigen Influencer kommunizieren von außen, Corporate Influencer vom Unternehmen aus.“
Wird es künftig mehr Corporate Influencer geben?
„Absolut ja. Es gibt so viele Unternehmen, die da investieren. Man muss aber mindestens drei Stunden in der Woche einplanen. Eine Stunde für Content Research und Development, eine Stunde für das Posten und in Kontakt bleiben und eine Stunde für das Netzwerk.“
Du machst das in Vollzeit, gefühlt allerdings Tag und Nacht. Legst du dein Handy je weg?
„Wenn ich die Augen zumache. Aber Spaß beiseite: Ich arbeite viel, aber ich brenne halt für das Thema. Und ich möchte diesen Algorithmus auch bedienen. Ein Algorithmus schläft nicht.“
Dann kannst du ja nie Urlaub machen.
„Doch. Ich bereite die Posts vor und poste von der Liege. Wollen wir jetzt über Mental Health sprechen (lacht)?“
Nein, da sind wir vermutlich beide keine Expertinnen… Mich würde eher interessieren, ob du dich mit deiner Firma Deloitte verheiratet fühlst? Ihr seid anders miteinander verbandelt als normalerweise Mitarbeitende mit ihrem Unternehmen.
„Ja, das ist schon wie eine kleine Ehe. Und die läuft auch echt gut.“
Aber jede dritte Ehe wird geschieden…
„Aber wir sind glücklich miteinander. Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, woanders zu arbeiten. Das ist etwas, was man als erfolgreicher Corporate Influencer sein sollte: wirklich verliebt sein in seine Brand. Ohne Herzblut und Leidenschaft kann man diese Aufgabe nicht ausführen.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich bei Edition F.
Auch lesen:
Sabbatical: Welche Modelle gibt es & habe ich einen Anspruch auf die berufliche Auszeit?