In unserer Reihe „Supporting Women“ wollen wir auf Diskriminierung, Gewalt und Hass gegen Frauen mitten unter uns hier in Deutschland aufmerksam machen. Damit ein Bewusstsein entsteht über Missstände, die leider auch 2021 immer noch an der Tagesordnung sind.
Stell dir vor, du bemerkst auf einmal, dass sehr private oder sogar intime Fotos von dir in sozialen Netzwerken oder auf pornografischen Seiten kursieren. Einfach so und ungefragt. Oder du gibst deinen Namen in eine Suchmaschine ein und es erscheinen Nacktbilder von dir. Keine schöne Vorstellung, oder?
Die Weitergabe von privaten digitalen Aufnahmen ohne Zustimmung der Betroffenen, ist eine Form von digitaler Gewalt – von der besonders häufig Frauen und Mädchen betroffen sind. Wer solche Aufnahmen unerlaubt verbreitet oder veröffentlicht, macht sich strafbar (§201a StGB).
Sind solche Bilder aber erstmal im Internet gelandet, ist es sehr schwierig, diese wieder offline zu bekommen. Auch die Täterinnen und Täter können meist gar nicht ausfindig gemacht und zur Verantwortung gezogen werden.
Das musste auch Anna (Pseudonym) erfahren. Die 29-jährige Berlinerin hat sich plötzlich ungewollt nackt im Netz gefunden. Wir haben mit einer beeindruckend starken Frau gesprochen, die offen mit ihrem Erlebnis umgeht, jetzt anderen Betroffenen Hilfe anbietet und sich dafür einsetzt, dass diese Form der digitalen Gewalt mehr in den Fokus der Politik und der Öffentlichkeit rückt.
gofeminin: Anna, dir ist etwas passiert, was eigentlich niemandem ohne seine Zustimmung passieren sollte. Und zwar sind Nacktbilder und Videos von dir auf einer Porno-Website gelandet, weil jemand dein Cloud-Passwort gehackt hat. Das ist jetzt zwei Jahre her. Wie hast du dich gefühlt, als du davon erfahren hast?
Anna: Ich hatte wirklich Panik. Mir ist in diesem Moment der Boden unter den Füßen weggerissen worden und ich habe gedacht, dass ich jetzt für den Rest meines Lebens irgendwie bloßgestellt sein werde. Und ich hatte auch so viele Fragen im Kopf, weil ich die Situation überhaupt nicht einschätzen konnte. Werden die Bilder jetzt für immer online bleiben? Es heißt ja, was einmal im Internet ist, bleibt im Internet. Wurden die Bilder vielleicht schon an meine Familie oder meinen Arbeitgeber geschickt?
Und ich war natürlich auch wütend. Wer macht so was? Dann bin ich aber auch schnell in eine Art Aktionismus verfallen und habe versucht, alles Mögliche zu unternehmen, damit die Bilder so schnell wie möglich offline gehen.
Du hast gesagt, du hast alles Mögliche unternommen, damit die Bilder wieder aus dem Netz verschwinden. Was genau hast du getan?
Ich habe erstmal die Polizei kontaktiert und gefragt, ob sie mir helfen können, die Bilder offline zu nehmen. Konnte sie aber nicht wirklich. Sie haben mir geraten, eine Anzeige über die Plattform ‚Internetwache‘ zu stellen und möglichst viele Screenshots zu machen. Das habe ich dann auch getan.
Außerdem habe ich selbst die Porno-Websites angeschrieben, dass sie meine Bilder löschen sollen und Suchmaschinen kontaktiert, damit sie die Inhalte nicht mehr anzeigen. Glücklicherweise sind die Bilder irgendwann tatsächlich offline gegangen. Unglücklicherweise werden sie aber auch immer mal wieder hochgeladen.
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Anstatt dich zurückzuziehen und das Erlebnis zu verdrängen, hast du die Plattform ‚Anna Nackt‘ gegründet. Weshalb und was ist das Ziel der Seite?
Ich habe gemerkt, dass die Art von Hilfe, die ich gerne in dieser Situation gehabt hätte, nicht so richtig verfügbar war. Die Polizei und die Justizbehörden haben noch recht wenig Verständnis und Wissen zu dem Thema. Ziel von ‚Anna Nackt‘ ist es deshalb, Menschen, die sich gegen ihren Willen nackt im Internet finden, unkomplizierte und empathische Hilfe zur Verfügung zu stellen.
Wir haben zum Beispiel eine Checkliste zusammengestellt, die erklärt, was ich tun sollte, wenn mir diese Form der digitalen Gewalt widerfährt. Wer einen Rat braucht, kann uns auch schreiben und wir teilen auf der Seite unsere Erfahrungen, um allen Betroffenen das Gefühl zu geben, sie kommen da schon durch. Ganz wichtig ist auch, dass Hilfesuchende niemals das Gefühl haben sollten, sie seien selbst Schuld an der Situation.
Jeder sollte die absolute Freiheit haben, Nacktbilder von sich selbst zu machen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass sie jemand illegalerweise klaut, irgendwo hochlädt und verbreitet.
Du bist selbst Schuld an der Situation, weil du dich nackt fotografiert hast?
Genau. Polizisten oder Anwälte können sich die Frage häufig nicht verkneifen, wieso es die Bilder überhaupt gibt. Aber die Frage nach dem ‚warum‘ ist einfach ein Vorwurf, der nicht nötig ist. Jeder sollte die absolute Freiheit haben, Nacktbilder von sich selbst zu machen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass sie jemand illegalerweise klaut, irgendwo hochlädt und verbreitet.
Abgesehen davon gibt es ja auch Menschen, die heimlich fotografiert wurden – zum Beispiel vom eigenen (Ex-)Partner im privaten Umfeld oder von einer unbekannten Person im öffentlichen Raum, wie in der Sauna oder der Umkleidekabine. Genauso gut können aber auch Bikini-Fotos von deinem Social Media Account kopiert und verbreitet werden.
Wie bekommen Betroffene eigentlich mit, dass Nacktbilder von ihnen im Netz zu finden sind und wie hast du es selbst erfahren?
Mich selbst hat ein alter Schulfreund kontaktiert, der mir gesagt, dass Bilder von mir im Internet zu sehen sind, die da nicht sein sollten. Viele Betroffene, mit denen ich mich ausgetauscht habe, erfahren es aber auch häufig dadurch, indem sie bemerken, dass sie plötzlich viele neue Follower bei ihren Social Media Accounts wie Facebook oder Instagram haben und auf einmal seltsame Nachrichten bekommen. Häufig verschicken Männer auch Screenshots von ihrem Bildschirm, auf denen die geöffneten Nacktfotos zu sehen sind.
Wer Fotos von jemandem ohne seine Zustimmung im Internet hochlädt, macht sich strafbar. Du weißt bis heute nicht, wer hinter dem Hack deiner Cloud steckt. Was muss passieren, damit hier mehr Transparenz herrscht und Täter ausfindig gemacht werden können?
Ein bisschen hat sich hier tatsächlich schon getan. Und zwar musst du dich mittlerweile bei den großen Porno-Plattformen wie xHamster und PornHub verifizieren. Wie die Verifikation im Detail abläuft, weiß ich aber nicht hundertprozentig, da sie noch dabei sind die Prozesse zu ändern. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, dass Zahlungsdaten hinterlegt werden müssen – die werden aber natürlich nicht öffentlich gemacht.
In Zukunft sollte dieser Prozess effektiv sein, heißt, dass Account-User auf Nachfrage (z.B. durch die Polizei) bei den Porn-Plattforms auch tatsächlich identifiziert werden können. Aber nur auf Nachfrage bei den Porn-Plattforms! Die Daten dürfen nicht frei verfügbar sein und einfach so rausgegeben werden.
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Kann ich mich überhaupt gegen diese Form der digitalen Gewalt schützen?
Der beste Schutz wäre natürlich, wenn die Täter aufhören würden und die Plattformen ihre Inhalte besser moderieren würden. Klar, können wir regelmäßig unsere Passwörter ändern oder unsere Dateien auf einer externen Festplatte abspeichern, aber wenn jemand vorhat, die Bilder an sich zu nehmen, dann wird er wahrscheinlich auch einen Weg finden. Mit bestimmten Mechanismen macht man sich anfälliger, als mit anderen Mechanismen, aber im Endeffekt, solange es Täter gibt, werden die auch Opfer finden.
Du bist auch Mit-Initiatorin der Online-Petition #NotYourPorn an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Kannst du bitte kurz zusammenfassen, was ihr von der Politik und den Betreiberinnen und Betreibern der Plattformen fordert?
Wir haben gemerkt, dass es nichts bringt, einfach nur den Betroffenen zu helfen. Deshalb machen wir jetzt auch mehr Policy-Arbeit, um das Problem effektiver zu bekämpfen. In unserer Petition fordern wir unter anderem, dass Porno-Plattformen eine Kontaktperson in Deutschland stellen, Fotos und Videos besser prüfen, bevor sie veröffentlicht werden und die Inhalte schneller löschen.
Um eine rechtliche Grundlage für diese Forderungen zu haben, müssen Porno-Plattformen ins Netzwerkdurchsuchungsgesetz (NetzDG) einbezogen werden. Außerdem braucht es Verbesserungen im Strafrecht, damit Betroffene gegen die Täter vorgehen können und Polizei und Justiz müssen dafür sensibilisiert werden, wie sie mit Betroffenen von digitaler Gewalt umgehen.
Was genau sollte denn im Strafrecht verbessert werden?
§ 201a aus dem Strafgesetzbuch, also die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen, wird unter den Privatklagedelikten geführt. Das heißt, wenn ich einen Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft stelle, kann es sein, dass die Tat nicht strafrechtlich verfolgt wird, weil entschieden wird, dass es nicht im öffentlichen Interesse ist. Was mir dann bleibt, um die Täterinnen oder Täter zu belangen, ist, selbst zu klagen und zu ermitteln. Ohne Unterstützung der Polizei und Staatsanwaltschaft. Und auf eigenen Kosten.
Das heißt, wenn ich beispielsweise eine Vermutung habe wer der oder die Täterin ist, kann ich entscheiden, Anzeige zu erstatten und dagegen vorgehen. Wir wollen, dass §201a aus den Privatdelikten rausgenommen wird. Da scheiden sich aber so ein bisschen die Geister, inwiefern das eine realistische Forderung ist. Aber es ist auf jeden Fall einen Versuch wert.
Dabei löst der Missbrauch deiner privaten Bilder im Netz genauso viel Schmerzen aus wie physische Gewalt.
Weshalb wird deiner Meinung nach dieser Form der digitalen Gewalt noch nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt in der Politik und in unserer Gesellschaft?
Zum einen ist es einfach ein schambehaftetes Thema. Wer spricht schon gerne über Nacktbilder oder Porno-Plattformen? Zum anderen ist das Verständnis dafür, dass das, was im digitalen Raum passiert auch einen realen Effekt auf dich als Person hat, teilweise noch nicht richtig angekommen. Wenn dir jemand ins Gesicht schlägt, dann ist es für alle klar, dass das Gewalt ist.
Aber wenn jemand Nacktbilder von dir im Internet hochlädt, Dick Pics schickt oder Nachrichten mit sexuellen Inhalten schickt, tun manche so, als wäre das nicht so schlimm, weil es ja digital ist. Dabei löst der Missbrauch deiner privaten Bilder im Netz genauso viel Schmerzen aus wie physische Gewalt. Viele Betroffene leiden unter psychischen Folgen, dazu zählen beispielsweise Angststörungen, Depressionen oder Suizidgedanken.
Lesetipp: Weitere Artikel aus unserer Reihe „Supporting Women“ findet ihr hier in der Übersicht. Ihr erkennt die Artikel am „Supporting Women“-Symbol im Bild.
Du brauchst Hilfe oder noch mehr Infos? Dann bist du auf folgenden Seiten genau richtig:
- Anna Nackt: Auf dieser Plattform gibt es unter anderem eine ausführliche Anleitung, wie man vorgehen sollte, wenn intime Bilder von einem ungefragt im Netz hochgeladen wurden.
- #NotYourPorn: Hier geht’s zur Petition von Anna Nackt. Wenn du möchtest, kannst du auch direkt online unterschreiben.
- HateAid: Die Beratungsstelle bietet Betroffenen von digitaler Gewalt Unterstützung sowie Prozesskostenfinanzierung an, um gegen die Täterinnen und Täter vorzugehen.
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: Unter der Nummer 08000 116 016 und per Online-Beratung bekommen Betroffene kostenfrei Hilfe und Unterstützung – an 365 Tagen, rund um die Uhr, anonym, mehrsprachig und barrierefrei.
- bff-Frauen gegen Gewalt: Auf der Seite des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland bekommen Opfer von Gewalt Hilfe und können unter anderem eine Beratungseinrichtung in ihrer Nähe suchen.
- Stärker als Gewalt: Die bundesweite Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) soll die Öffentlichkeit für das Thema Gewalt an Frauen sensibilisieren und will Hilfeangebote bekannt machen. Hier gibt es unter anderem auch eine Checkliste, wie Betroffene gegen digitale Gewalt vorgehen können.