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Emanzipation & Corona-Krise: Werden wir um 30 Jahre zurückgeworfen?

Emanzipation & Corona-Krise: Um 30 Jahre zurückgeworfen?
Emanzipation & Corona-Krise: Um 30 Jahre zurückgeworfen? Credit: unsplash.com / Camille Brodard

Wissenschaftler warnen derzeit davor, dass Corona uns Frauen in Sachen Gleichberechtigung um 30 Jahre zurückwerfen wird. Retraditionalisierung heißt das böse Wort, das derzeit die Runde macht. Was steckt dahinter?

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Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, hat es Anfang Mai in der Diskussionsrunde von Anne Will mehr als klar formuliert: Frauen werden eine „entsetzliche Retraditionalisierung“ aufgrund der Corona-Krise erfahren, die uns um drei Jahrzehnte zurückwirft.

Denn obwohl viele Frauen in systemrelevanten Berufen wie Ärztinnen und Pflegerinnen im Gesundheitswesen, als Supermarktpersonal und in der Altenbetreuung tätig sind, sind vor allem sie es derzeit, die aufgrund geschlossener Kitas und Schulen in die Bresche springen und Job, Kind, Homeschooling und Haushalt wuppen müssen. Und das seit fast drei Monaten.

Das Problem: Nicht nur, dass viele systemrelevante Berufe mehr als schlecht bezahlt werden, auch der Gender Pay Gap, nach dem Frauen trotz gleicher Arbeit schlechter bezahlt werden, tut sein Übriges. Wer derzeit für die Kinderbetreuung auch noch im Job die Stundenzahl runterfahren oder gar unbezahlten Urlaub nehmen muss, der muss sich auch darüber im Klaren sein, dass er Abstriche in Sachen Karriere, Jobsicherheit und Altersvorsorge machen wird. Eine ganz einfache Rechnung, die in diesem Fall wie so oft vor allem Frauen betrifft.

Es stellt sich also nicht nur aufgrund blankliegender Nerven die Frage für viele Eltern und vor allem für viele Frauen: Wann wird wieder Normalität in die Arbeitssituation von Eltern eintreten? Und vor allem: Wird unsere Gesellschaft danach noch die gleiche sein wie vor der Krise? Wie sehr hat Frau Allmendinger Recht mit ihrer mehr als deprimierenden und vor allem allarmierenden Prognose?

Corona bringt ans Licht, was im Argen liegt

Fakt ist: Das, was wir derzeit erleben, ist ja nicht grundlegend neu. Es wird lediglich durch Corona sehr offensichtlich. Die nicht ausreichend funktionierende Vereinbarkeit von Job und Familie ist letztlich ein Dauerproblem, das uns Frauen seit Jahrzehnten karrieretechnisch ausbremst.

Das, was Frauen in der sogenannten Carearbeit, also bei der Kindererziehung und in der Betreuung ihrer Angehörigen leisten (denn auch hier sind die Frauen federführend), wird in unserer Gesellschaft weder gesehen noch ausreichend gewürdigt, geschweige denn bezahlt. Und da dieser Zustand nie wirklich ausreichend auf den Tisch kommt, ist es umso besser, dass Eltern und vor allem Mütter jetzt ihrer Wut endlich mal lautstark Luft machen.

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Letztlich sind es etliche Faktoren, die immer noch dafür sorgen, dass Männer und Frauen eben nicht gleichgestellt sind – bzw. nur auf dem Papier. Punkt 1: Die Schwierigkeit Familie und Beruf zu vereinbaren legt immer noch primär Frauen einen Stein in den Weg. Es fehlt einfach an Betreuungsangeboten. Ohne eine vernünftige Kita und Nachmittagsbetreuung ist keine normale Berufstätigkeit möglich.

Dazu kommt Punkt 2: die traditionelle Rollenverteilung. Laut dieser kümmert sich die Frau immer noch mehr um Haushalt und Kinder. Und zu guter Letzt tut Punkt 3 sein Übriges, nämlich der Gender Pay Gap. Wenn beide Eltern berufstätig sind, er aber 21 Prozent mehr verdient, ist es für Eltern, die jeden Cent umdrehen müssen, gar keine Frage, wer für die Kinder zuhause bleibt und wer weiterarbeitet. Jetzt in der Corona-Krise ist das nicht anders.

Die Corona-Krise offenbart also, was uns eigentlich längst klar war, aber nicht in dieser Deutlichkeit: Wir Frauen mögen zwar systemrelevant sein und diejenigen sein, die derzeit den Laden am Laufen halten – wir sind aber dennoch weitaus unwichtiger in dieser Gesellschaft, als wir es uns in unseren schlimmsten Träumen ausgemalt hätten.

Corona bringt Missstände ans Licht, die eh schon vorhanden waren.
Credit: reshot.com / Addie D.

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Umfragen zeigen: Frauen tragen die Hauptlast während Corona

Welche Mutter sitzt derzeit noch auf ihrem Führungsposten oder im Büro, wenn plötzlich die Betreuung ihrer Kinder nicht mehr gewährleistet ist und sie mal eben drei Monate am Stück die Kinder unbetreut zuhause hat?

Laut einer Online-Befragung der Uni Koblenz Landau zum Thema Homeschooling sind es vor allem die Frauen, die derzeit zuhause für die Kinder die Lehrerin bzw. den Lehrer ersetzen. Das zeigt allein schon, dass von den 4.000 Befragten ganze 81 Prozent der Fragebögen von Frauen ausgefüllt wurden.

Ebenfalls eine aktuelle Online-Befragung im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung unter 7.677 Erwerbstätigen zeigte: Bei Haushalten mit mindestens einem Kind unter 14 Jahren sind es 28 Prozent der Frauen, die in der Corona-Krise weniger arbeiten, um die Kinder zu betreuen. Bei den Männern sind es nur 17 Prozent. Die traurige Schlussfolgerung der Umfrage: Es sind die erwerbstätigen Frauen, die in der Corona-Krise die Hauptlast tragen.

Bei Haushalten mit niedrigem bis mittlerem Einkommen sind die Zahlen noch frappierender. Das zeigt, dass es vor allem finanzielle Gründe sind, die dazu führen, dass die Frau die Rolle der Kinderbetreuerin übernimmt. Einfach, weil der Mann meist mehr verdient. Und schon sind wir wieder beim Gender Pay Gap.

Je weniger Geld, desto weniger faire Arbeitsteilung. Lassen wir Zahlen sprechen: Bei den geringverdienenden Paaren mit einem Haushaltsnettoeinkommen von unter 2.000 Euro, die vorher eine ausgeglichener Arbeitsteilung von Mann und Frau praktiziert haben, praktizieren aktuell nur 48 Prozent weiterhin dieses Modell.

Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend nannte diese Ungleichheit in Sachen Carearbeit, also unbezahlter Arbeit zuhause, den Gender Care Gap. Er sei ein wichtiger Indikator für die Gleichstellung beziehungsweise die nicht existente Gleichstellung von Mann und Frau in heterosexuellen Beziehungen.

Egal, ob es um die Kinderbetreuung, den Haushalt, die Pflege von Angehörigen oder eine ehrenamtliche Tätigkeit geht: Für diese Art unbezahlter Carearbeit wenden Frauen täglich durchschnittlich 52,4 Prozent mehr Zeit auf als Männer. Das sind pro Tag 87 Minuten.

Auch heute noch gibt es zu wenig Frauen in Spitzenpositionen.
Credit: rawpixel.com

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Wir leben unseren Kindern derzeit ein altes Rollenbild vor

Und das ist nicht das einzige Problem. Das, was hier gerade passiert, hat noch weitaus mehr Auswirkungen als weniger Karriere, weniger Job, weniger Rente, mehr finanzielle Abhängigkeit von Frauen. Denn wir leben unseren Kindern gerade ein uraltes Rollenmodell vor. Schaut her, Kinder: Mutti ist zuhause, Vati verdient das Geld.

Collin Ulmen Fernandez, Autorin der ZDF Doku „Familien allein zuhause“ hat es letztlich in „Hart aber Fair“ bestätigt: So wurden im Zuge der Doku Zweitklässler befragt, ob Geld verdienen Männer oder Frauensache sei. Und unfassbare 100 Prozent der Kinder sagten: Männersache.

Und egal, wie oft wir unseren Töchtern von Gleichberechtigung und Eigenständigkeit erzählen: Wenn wir ihnen ein ganz andere Modell vorleben, so prägt sie das deutlich mehr als jedes noch so gut gemeinte Mutter-Tochter-Gespräch. Dafür muss man kein Psychologe sein, um das zu erkennen.

Wir leben unseren Kindern derzeit ein altes Rollenbild vor
Credit: Reshot.com / Ingrid Nagy

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Kein Backlash wegen Corona, sondern die nackten Fakten

Fazit: Nicht Corona hat uns 30 Jahre zurückgeworfen, sondern wir realisieren erst jetzt, wie es um die Gleichberechtigung der Frau steht. Nämlich ziemlich mau. Trotz Frauenquote. Trotz Frauenbeauftragter. Trotz Weltfrauentag.

Laut Bundeszentrale für politische Bildung kommen viele Frauen immer noch auf der Karriereleiter nicht über die mittlere Management-Ebene hinaus, auch wenn sie vergleichbare Leistungen bringen wie ihre männlichen Kollegen. Und Soziologin Jutta Allmendinger mahnte ebenfalls an, dass sich schon jetzt während der Corona-Krise gezeigt hätte, dass weniger Frauen in Führungspositionen zu finden sind. Und somit sind Frauen auch da nicht präsent, wo Entscheidungen getroffen und eigene Interessen vertreten werden.

Auch im Deutschlandfunk, (Natur, Kultur, Geschlecht: Feminismus und die kleinen Unterschiede), wurde das Problem jüngst thematisiert. Hier hieß es dazu: „Zu Beginn unseres Jahrhunderts sah es so aus, als sei die Emanzipation vollendet und man könne erleichtert zu anderen heißen Fragen übergehen. Dann stellte sich heraus: Es stimmt nicht, der gleiche Lohn ist nicht durchgesetzt, die Gewalt gegen Frauen nicht gestoppt und der Anteil praktizierender Väter und Hausmänner verschwindend gering. So wie auch der Anteil von Frauen in Spitzenpositionen.“

Und jetzt reiben wir uns die Augen und wundern uns, dass das mit der Gleichberechtigung nicht wirklich funktioniert hat. Gut, wenn wir dank dieser Erkenntnis jetzt endlich aufwachen und Dinge in unserer Gesellschaft ändern. Schlimm wäre es indes, wenn wir es nach der Corona-Krise bei dieser traurigen Einsicht belassen würden.

# Frauen und Männer müssen für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden.
# Kinderbetreuung geht Mütter und Väter gleichermaßen an.
# Carearbeit und systemrelevante Berufe dürfen nicht schlecht bis gar nicht bezahlte Tätigkeiten sein.
# Und: Die Corona-Krise darf nicht dazu führen, dass sich die Missstände noch weiter verfestigen beziehungsweise Frauen noch weiter gesellschaftlich zurückfallen.

Videotipp zum Thema:
Das ARD-Politikmagazin Kontraste thematisiert im Beitrag „Heim an den Herd: Wie die Corona-Krise uns bei der Gleichberechtigung zurückwirft“ die Gefahr der Retraditionalisierung im Rahmen der Corona Pandemie.