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Die Angst vor der 30: Über den Unsinn, der uns Frauen eingeredet wird

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Vorab im Video: Midlife Crisis bei Frauen: Woran du erkennst, dass du mittendrin steckst

Frauen in der Midlife-Crisis: Während früher alles aufwärtszugehen schien, beginnt es im Laufe des Lebens irgendwann zu hakeln im Getriebe. Selbstzweifel, die Frage nach dem Sinn und körperliche Veränderungen sorgen in der Lebensmitte für eine Krise. Über Hintergründe und was jetzt hilft.

Zwischenbilanz, Torschlusspanik oder die große Gelassenheit? Was einen als Frau wirklich beschäftigen sollte, wenn man die magische 30 überschreitet.

Wenn wir jung sind, kann es gar nicht schnell genug gehen mit dem Älterwerden. Endlich 18. Endlich 20. Wir haben das Gefühl, die Welt steht uns offen, wir sind jung und haben die Kraft und die Zeit, all unsere Ziele zu erreichen, wenn wir nur wollen. Das Leben ist groß und der Horizont weit.

Doch irgendwann zwischen 30 und 35 ändert sich etwas. Und zwar das Grundgefühl. Der Druck von außen ist nicht mehr so leicht zu ignorieren. Wir sollen erwachsen sein. Was so viel heißt wie: Wir sollen auf eigenen Füßen stehen und am besten noch unseren Platz im Leben gefunden haben.

Daneben werden auch andere Stimmen jetzt laut. Plötzlich sollen wir unsere biologische Uhr ticken hören. Ach ja, und Karriere sollten wir jetzt in dem Alter auch bitte schon längst gemacht haben.

Aber mal ganz im Ernst: Viel davon ist ziemlicher Unsinn, der uns da eingeredet wird. Es gibt kein Zeitschema, das sich gleichermaßen über alle Frauen stülpen lässt.

Was leider wirklich Fakt ist: Man hat immer öfter das Gefühl, dass die Zeit rast. Schon 30. Eben war man doch erst 22. Und dann denkt man panisch: Was ist mit meinen Zielen? Habe ich mich ihnen schon wirklich erwähnenswert genähert? Bin ich zu spät dran, um meine Ziele und Wünsche noch zu erreichen? Hab ich die Abzweigung verpasst?

Und das ist deutlich mehr als sich Gedanken über Fältchen machen: Es geht um einen Blick auf das, was war und das, was man noch will im Leben.

​Ist die Zeit des Ausprobierens vorbei?

Anders als in den Jahren zuvor, geht es für viele Frauen um die 30 um die großen Entscheidungen im Leben, das zumindest sagt Autorin Katja Schmitz-Dräger, die mit 31 ein Buch über diese Lebensphase geschrieben hat: „Die Zeit des unbeschwerten Ausprobierens ist plötzlich vorbei. Privat und beruflich werden die Weichen gestellt, spätestens jetzt muss jeder die Verantwortung für sein Leben übernehmen. Die freie Auswahl unter zahllosen Lebensentwürfen lässt essenzielle Fragen aufkommen: Was habe ich bisher erreicht und wo will ich noch hin?

Dazu kommen Fragen wie: Bin ich in meinem Beruf und in meiner Partnerschaft glücklich? Was erfüllt mein Leben und macht das Sinn, wie es ist? Sollte ich jetzt mit der Familienplanung beginnen bzw. möchte ich überhaupt eine Familie gründen oder einen anderen Weg gehen? Ist mir finanzielle Sicherheit wichtiger als berufliche Selbstverwirklichung?

Mit 30 zieht man erstmals Resümee. Und viele begehen jetzt den Fehler, sich mit gleichaltrigen Freund*innen zu vergleichen. Keine gute Idee, wie sich fast immer herausstellt: Die Freundinnen sind schwanger, während man selbst als Single dasteht. Oder sie sind extrem erfolgreich, während man selbst noch in seiner Studentenbude wohnt und Praktika macht.

Das bestätigt auch Katja Schmitz-Dräger: „Man muss sich klarmachen, dass erstens jeder seine Schwachstellen hat, und dass es zweitens noch nicht zu spät ist, sich um die eigenen zu kümmern. Wenn man mit sich selbst im Reinen ist, sieht das eigene Leben gar nicht so schlecht aus.

Verliert sich die Generation der tausend Möglichkeiten?

Natürlich durchleben wir mit anderen Frauen in unserem Alter nicht immer die gleichen Phasen zur gleichen Zeit. Waren die Frauen vor 50 Jahren mit 30 meist Mutter und verheiratet, ist das Bild der 30-Jährigen heute mehr als uneinheitlich: Sie sind Single, frisch verliebt oder verheiratet, sie haben ein Kind, einen Kinderwunsch oder keinen, sind Freiberufler, festangestellt oder in Elternzeit – und jede hat Wünsche, wie das Leben so laufen soll – und dass die so vielfältig und unterschiedlich sind, ist verdammt gut so.

Das liegt daran, dass wir, anders als unsere Mütter, viel mehr Möglichkeiten haben, unser Leben zu gestalten. Niemand braucht mehr einen Trauschein, um eine Familie zu gründen. Letztlich braucht es nicht mal eine feste Partnerschaft dafür.

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Kinder, Haushalt, Ehemann wie zu Großmutters Zeiten, also eine klare Struktur, wie frau ab 30 lebt, gibt es nicht mehr. Wir sind selbst gefragt, unser Leben zu gestalten. Eine große Freiheit, die natürlich auch eine große Herausforderung und viel Druck bedeuten kann.

Denn die Angst, Zeitpunkte und Entscheidungen zu verpassen, ist da. Viele kommen erst mit 27 aus der Uni, und wenn das letzte Praktikum absolviert und der erste Gehaltscheck da ist, ist man schnell mal um die 30. Und leider gibt es seit geraumer Zeit diese nervigen Sprüche: „Werde die beste Version deiner selbst!“ Aber mal ganz im Ernst: Wer redet uns diesen Blödsinn ein?

Auch Katja Schmitz-Dräger plädiert dafür, entspannt zu bleiben: „Es gibt ein paar Eckdaten, die unser Leben von dem anderer Generationen unterscheiden: Wir haben sehr lange Ausbildungszeiten hinter uns und sind viel später in einer gesettelten Lebenssituation angekommen, als es vor zwanzig Jahren der Fall war. Dadurch hatten wir aber auch die Möglichkeit, viel auszuprobieren und auch mal einige Zeit zu vertrödeln.

Wir verabschieden uns von festen Vorstellungen

Mit Anfang 30 sind viele Vorstellungen und Dinge, die einem noch zehn Jahre zuvor unendlich wichtig waren, ins Wanken geraten. Man hat sich von ihnen getrennt oder man hat sie entspannt in die Rubrik „Das-mache-ich-irgendwann-mal“ geschoben.

Wie sollte das auch anders sein, wenn viele Fixpunkte und Sicherheiten im Leben nicht mehr da sind? Katja Schmitz-Dräger bestätigt: „Niemand glaubt mehr an die unbefristete Festanstellung, immer weniger an die liebessichernde Wirkung eines Eherings.“ Das sind die Unwägbarkeiten des Lebens, die man zu akzeptieren und auch zu schätzen gelernt hat.

Das Schöne: Genau jetzt entdecken viele Frauen die eigene Gelassenheit. Die meisten haben mit der Zeit, mit Erfahrungen und Enttäuschungen gelernt, die Dinge einfach relaxter zu sehen.

Katja Schmitz-Dräger: „Man hat mittlerweile mehrfach festgestellt, dass das Leben auch weitergeht, wenn man selbstgesetzte Fristen und Ziele nicht erreicht hat. Der 30. Geburtstag kann eine geradezu befreiende Wirkung haben, nach dem Motto: Ab jetzt ist es egal – dann läuft es halt so, wie es kommt.

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Kinderwunsch, Torschluss und Panik?

Doch es gibt auch ein paar wunde Punkte, Themen, bei denen uns Frauen auch unsere Ü-30-Gelassenheit im Stich lässt. Wer als Frau einen Kinderwunsch hat und mit Mitte / Ende 30 noch Single ist, wird langsam nervös. Sind die besten Exemplare schon vom Markt gefischt und in festen Bindungen? Finde ich überhaupt noch jemanden, mit dem ich mir eine Familie vorstellen kann?

Wir klicken uns durch soziale Netzwerke und Datingportale, wir scannen die Profile der anderen und klicken uns durch ihr Leben auf Facebook, nur um entsetzt festzustellen: Wir sind allein. Die Freund*innen aus der Abiklasse haben allesamt ein bis zwei Kinder, ein Eigenheim oder sie leben erfolgreich in Amerika, London oder Paris. Und das fühlt sich anders an als früher. Mit 35 oder 40 ein Single mit Kinderwunsch zu sein, kann sich verdammt anders anfühlen, als mit 20.

Aber auch hier sollten wir umdenken. Wer als heterosexuelle Frau Single ist und sich ein Kind wünscht, muss sich halt einen Plan machen. Letztlich haben Frauen mit 30 und danach noch durchaus Zeit. Schließlich bekommen Frauen heute immer später Nachwuchs. Längst liegt das Durchschnittsalter für das erste Kind bei 29 Jahren. Mittlerweile spricht man bei Dreißigjährigen nicht mehr von Spätgebärenden.

Wobei man bedenken sollte: Die „späten Mütter“ haben leider nicht nur den Grund, dass ein*e Partner*in fehlt, sonder leider immer noch viel zu oft berufliche und gesellschaftliche Gründe: Frauen müssen immer noch den krassen Spagat zwischen Beruf und Elternschaft meistern. Denn trotz Elternzeit für beide ist es in der Mehrzahl die Frau, die die Care-Arbeit daheim leistet und die Kinder großzieht.

Und das matcht nicht immer mit unseren beruflichen Träumen. Katja Schmitz-Dräger: „In unserer Generation gibt es noch diesen relativ festgelegten Ablauf, wonach erst die Ausbildung abgeschlossen wird, dann der Berufseinstieg folgt, die Finanzierung gesichert sein muss, und das aktuelle Projekt will eventuell auch noch abgeschlossen sein (…). Viele Frauen unterwerfen sich diesem Muster, aus Angst, Kinder könnten einem guten Karrierestart im Weg stehen.

Und diese Ängste sind ärgerlicherweise immer noch einem gesellschaftlichen System geschuldet, dass das Projekt Kinderkriegen fast allein auf den Schultern der Frauen stemmt. Hier die Strukturen zu verändern, ist noch immer eine Aufgabe, die es einzufordern und gemeinsam zu lösen gilt.

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Unser Körper, das Alter und das wahre Leben

Und dann gibt es noch einen anderen wunden Punkt: Das Alter und unser Körper. Der Spruch „Wir sind keine 20 mehr“ hat jetzt plötzlich seine Berechtigung. Wir beginnen zu altern. Langsam, aber es ist jetzt zum einen Mal eine reale Erfahrung.

Gesundheit mag für viele noch selbstverständlich sein – für einige aber auch nicht. Man beginnt 7deshalb meist in diesem Alter auf seinen Körper zu achten, weil er eben nicht mehr immer perfekt funktionieren muss.

Hier geht es wohlgemerkt nicht um Fältchen und Schönheit, sondern um Gesundheit und Energie und Kraft, die wir haben. Und natürlich geht es auch darum, dass wir uns wohlfühlen in unserer Haut und in einem Körper, der eben auch die Zeichen der Zeit anzeigt. Denn wir haben ja schon einiges erlebt mit 30.

Aber auch hier wieder eine gute Nachricht: Es gibt eine Wunderwaffe gegen das Altern. Und zwar nicht die, nach der die Schönheitsindustrie verzweifelt sucht, um uns das Geld aus der Tasche zu ziehen, sondern eine ganz andere: Selbstsicherheit und Gelassenheit.

Die positive Sicht auf die 30 ist ganz leicht

Wie auch immer man zu seinem Körper, seinen Zielen und Wünschen stehen mag: Die Zahl 30 sollte trotz aller ernsthafter Fragen kein Grund sein, um zu resignieren. Ganz im Gegenteil.

Jetzt erkennen wir Ziele und Umwege und justieren uns bewusster. Sonst gäbe es auch nicht so viele Frauen, die gefragt werden, ob sie gerne noch einmal 20 wären, die dankend ablehnen. Die Erfahrungen, die sie im Laufe der Zeit gemacht haben, wollen sie nicht missen.

Wer auch immer sich vor der Zahl 30 gruseln mag: Das Alter um die 30 ist eine Zeit, in der man den Kopfsprung ins wahre Leben gewagt hat. In der man sich gefragt hat, was das eigene Leben zu bieten hat und was es einem noch bieten kann. Und weil man sich sagt: „Her mit dem schönen Leben!“ Auch Katja Schmitz-Dräger bestätigt: „Es gibt auf jeden Fall genug zu tun. Ich habe das Gefühl, dass es im Grunde jetzt erst richtig losgeht mit meinem Leben.“

Buchtipp:
Katja Schmitz-Dräger: Das perfekte Leben
Fünf Frauen Anfang 30 – Gespräche über Liebe, Sex, Familie, Job und Zukunft
9,95 EUR, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag