Inhaltsverzeichnis
- Was Winzern mit Kindererziehung zu tun hat
- Winzerin statt Weinkönigin: Im Sinne des Feminismus
- Wie sieht die Zukunft des Weines aus?
- Was man von Winzerin Martina lernen kann
An der Ortseinfahrt in Wolfsheim begrüßt mich ein Schild, auf dem in großen Lettern „Weingut Bernhard“ zu lesen ist. Wenige Meter dahinter entdecke ich ein weiteres: „Weinkönigin Rebecca – 2003“. Hier bin ich richtig, denke ich, während ich mein Auto durch die kleinen Gassen lenke.
Ich bin ein bisschen nervös, denn als Städterin verschlägt es einen eher selten in ländliche Gefilde. Und wenn, dann höchstens, um sich ein paar Tage eine Auszeit vom ach so stressigen Alltag zu nehmen und dem Weingott Bacchus ausgiebig zu frönen. Kaum einem Getränk haftet solch ein elitärer Habitus und ein Selfcare-Klischee an, als – ihr ahnt es bereits – Wein. Wein ist beeindruckend, Wein lässt einen tiefen Blick auf das Konto des Gegenübers zu, Wein steht der hochrangigen Geschäftsführerin ebenso gut zu Gesicht wie der gestressten Journalistin.
Während ich also noch schnell hektisch eine E-Mail verschicke und meine Stirn in tiefe Falten lege, kommt mir Martina in Gummistiefeln, einer dicken schwarzen Fleecejacke und einem breiten Grinsen auf dem Gesicht entgegen. Augenblicklich entschuldige ich mich für meine Unwissenheit bezüglich ihres Fachgebietes und meine halbgaren Wein-Mythen, die Martina im Laufe des Tages alle widerlegen wird.
„Das braucht dir nicht unangenehm sein, es ist schließlich nicht dein Job, viel über Wein zu wissen“, sagt sie ganz unprätentiös. Gar nicht so elitär wie angenommen, denke ich und überlege, wie ich das nächste Wein-Show-Off von irgendeinem Justus, der mir trotz völliger Ahnungslosigkeit versucht die Welt und den Wein zu erklären, direkt im Keim ersticken kann. Dass Martina mich nicht mit künstlichen Kenntnissen blenden muss, sondern echte Expertise an den Tag legt, wird mir schon nach wenigen Worten und gekonnten Handgriffen klar.
Was Winzern mit Kindererziehung zu tun hat
Ich schaue ihr beim Maischen zu, ein Prozess, bei dem die gelesenen Trauben leicht gequetscht werden, sodass eine dickflüssige Masse aus Fruchtfleisch, Schale und Saft entsteht. „Die Maische lassen wir nun einige Stunden ruhen, um Geschmacksstoffe und weitere Substanzen aus den Trauben zu lösen. An diesem Punkt können wir unter anderem die Struktur und Haltbarkeit des Weines bestimmen. Es ist wie bei einem Apfel: Die guten Inhaltsstoffe stecken alle direkt unter der Schale und diese wollen wir natürlich auch von der Traube gewinnen“, erklärt mir Martina und streicht dabei liebevoll über die hellen, zerdrückten Beeren.
Noch bevor ich meine nächste Frage aussprechen kann, fängt sie meinen fragenden Blick auf und fährt fort: „Bei einem Rotwein befinden sich die Farbpigmente und das Tannin ebenso in den Beerenschalen. Bei der Maischegärung zieht der Most die rote Farbe aus Schalen, so erhalten wir den klassischen dunklen Farbton eines Rotweins.“ Wir laufen vorbei an riesigen Stahltanks, in denen die Gärungsprozesse schon im vollen Gange sind. „Siehst du den einen da? Der ist heute Morgen übergelaufen. Die Herstellung eines Weines ist wie die Erziehung eines Kindes: Sie brauchen unsere volle Aufmerksamkeit und trotzdem reagieren sie manchmal wie trotzige Teenager.“
Um mir die Sensibilität und die Bedürfnisse des Weins zu erläutern, bedient sich Martina immer wieder Metaphern aus der Kindererziehung und legt dabei solch eine herrlich unaufgeregte Gelassenheit an den Tag, dass ich ihr in diesem Moment alles glauben würde. Gebt dieser Frau einen eigenen Podcast, eine Talkshow oder lasst sie ein wichtiges politisches Amt bekleiden, denn hier ist ein Medienprofi am Werk, denke ich mir und bin überzeugt davon, dass meine nächste Frage – „Hast du deine Sprechweise besonders einstudiert?“ – eine Rhetorische ist. „Ach Quatsch, für mich ist dieses Wissen einfach gelernt. Ich erzähle gerne von meiner Leidenschaft und freue mich, andere mitzureißen.“ Eine Kunst, die wir alle bei der letzten Bundestagswahl schmerzlich vermisst haben.
Winzerin statt Weinkönigin: Im Sinne des Feminismus
Martinas Liebe zum Wein festigte sich schon sehr früh, so ist es auch nicht verwunderlich, dass wir im Weinkeller an ihrem Weihnachtsgeschenk vorbeilaufen, welches sie im Alter von 14 Jahren bekam: ein kleinerer Metalltank für besondere Weinexperimente. Während ich in diesem Alter versuchte meine Eltern davon zu überzeugen, mir ein Nokia 3210 zu schenken, krempelte Martina kurzerhand den gut laufenden Weinbetrieb ihrer Eltern um. Sie überredete Mama und Papa auf Bio zertifizierte Weine umzustellen und tauschte die Aussicht auf einen Schulabschluss mit Abitur mit einer Ausbildung zur Winzerin, denn sie wusste schon immer, was sie wollte.
Die Frage, „ob sie als hübsches Mädchen denn nicht lieber eine Weinkönigin werden möchte“, hörte sie nicht nur einmal. Doch Martina entschied sich: „Ich werde sicherlich nicht schön geschminkt in einem Kleid vor eine Reihe alter weißer Männer treten und fröhlich lächelnd in die Kamera blicken, um die deutsche Weinwirtschaft zu repräsentieren. Ich kann viel mehr für mich und den Feminismus tun, wenn ich wirklich guten, biodynamischen Wein selbst produziere und mein Herz in diesen Familienbetrieb lege.“
Dass Vielfalt weiblich ist, zeigt sich auch in ihrem „sisters in wine club“, den Martina gemeinsam mit einer Freundin ins Leben rief. Unter dieser Linie lassen sich zurzeit fünf verschiedene Weine finden, die allesamt jeweils einer starken Frau der Zeitgeschichte huldigen.
Pro verkaufter Kiste wird zudem ein Euro an NURU WOMEN, eine gemeinnützige Organisation, die Frauen in Ländern des globalen Südens beim Aufbau eines selbstbestimmten Lebens unterstützt, gespendet. „Feminismus wird oftmals als etwas Schlechtes angesehen. Für mich geht es dabei schlichtweg um Gleichberechtigung und um den Zusammenhalt, auch andere Frauen zu unterstützen. An den Tisch der sechs besten Winzer*innen passt nämlich nicht nur eine Frau und fünf Männer. Dieser Konkurrenz-Gedanke ist bei älteren Generationen noch sehr präsent. Doch überleg mal, was wir alles erreichen könnten, wenn wir Frauen uns gegenseitig unterstützen würden, anstatt unsere Ellenbogen gegeneinander einzusetzen.“
Wie sieht die Zukunft des Weines aus?
Im Mai heiratete Martina ihre Jugendliebe, ganz romantisch unter der toskanischen Sonne. Seitdem wird ihr eine Frage immer und immer wieder in Presseterminen gestellt: Ist der Beruf der Winzerin nicht hinderlich für deine Familienplanung? „Weißt du, Männer bekommen solche Fragen nie gestellt. Das regt mich fürchterlich auf! Natürlich bleibe ich höflich, aber allein daran lässt sich doch erkennen, dass die alten Geschlechterrollen noch immer in den Köpfen der Menschen verankert sind. Vielleicht möchte ich keine Kinder, vielleicht kann ich auch Winzerin und Mutter zugleich sein. Das geht doch niemanden etwas an.“
Während Martina und ich uns im Gespräch über den Gebrauch einer inklusiven und geschlechtergerechten Sprache verlieren, bringt ihre Schwester Andrea uns pünktlich um 13 Uhr eine Brotzeit und einen kräftigen Kaffee in den Weinkeller. Bisher habe ich mit Stolz geschwellter Brust lediglich einen Abpumpschlauch gehalten und bin dennoch vor Aufregung schon ganz erschöpft. Martina und ihr Vater Jörg hingegen arbeiten in den Hochzeiten der Weinlese 18 Stunden abwechselnd im Schichtbetrieb. Unterstützung erhalten sie dabei von der ganzen Familie, dem neuen Praktikanten Julian und den drei Saisonarbeitern Dumi, Horea und Coco, die seit Jahren der Familie Bernhard bei der Weinlese helfen.
Bevor ich mich wieder auf den Weg in die stickige Großstadt mache, nehmen mich Martina und ihre Mitarbeiter noch schnell zu einem ihrer Weinberge mit. Dicke Nebelschwaden hängen über den zahlreichen Reben, die die Basis für den veganen, biodynamischen Wein bilden, der ECOVIN zertifiziert ist und den es über die Website des Weinguts Bernhard zu kaufen gibt.
Man spricht von einem biodynamischen Wein, wenn der landwirtschaftliche Betrieb als ein Kreislauf gesehen wird, der im Einklang mit der Natur steht. Doch durch den Verzicht auf Pestizide und Kunstdünger müssen die Weinreben öfters kontrolliert werden. Ein Mehraufwand für die Winzerin oder den Winzer von bis zu 30 Prozent ist nicht selten. Für Martina geht diese Gleichung dennoch auf: „Eine Mischung aus Tradition gepaart mit den Vorzügen der neuesten Technik und das alles im Einklang mit der Natur – da sehe ich die Zukunft des Weines.“
Linktipp: Weiterführende Infos zum Bundesverband Ökologischer Weine erhaltet ihr hier: ECOVIN – ECOVIN Bundesverband Ökologischer Weinbau e.V.
Was man von Winzerin Martina lernen kann
Während sie sich durch die Weinreben zu den Saisonarbeitern schlängelt, ruft sie mir kurz zu: „Ich erklär‘ den Jungs eben, wie sie jetzt am besten vorgehen.“ Ich nutze die kurze Pause, um atmosphärische Weinberg-Bilder zu schießen und steige zurück zu Martina in den alten VW-Bus. „Ich sollte nicht ‚Jungs‘ sagen, wenn ich mit meinen Freundinnen auch nicht als ‚Mädels‘ bezeichnet werden will“, murmelt sie kopfschüttelnd mehr zu sich selbst als zu mir. Und während sie dies sagt, wächst in mir die Hoffnung, dass hier eine ganz neue Generation an Feministinnen ihren eigenen Weg gehen wird.
Ich möchte Martina und ihre Familie nicht länger von der Arbeit abhalten und drehe zum Abschluss noch schnell ein Video mit ihr, um unserer gofeminin Instagram Community drei gute Tipps für die perfekte Weinauswahl mitzugeben. Auch hier bin ich wieder überrascht, wie lässig und eloquent Martina vor der Kamera spricht. Ich zeige ihr die Aufnahme und frage: „Fühlt es sich komisch an, sich selbst in einem Video zu sehen?“ Martina erwidert: „Absolut nicht. So sehe ich aus, so spreche ich, was sollte daran komisch sein? Das Leben ist oft unbeschwerter, wenn man nicht so eitel ist.“
Und so lässt sie mich zurück, diese 26- jährige Winzerin, die ihren Eltern schon mit 14 Jahren sagte, dass man eben doch ein „Winning Team“ auswechseln muss, um seine Träume zu verwirklichen und in vielen Dingen so viel mehr vom Leben begriffen hat, als meine Wenigkeit, die nächsten Freitag wieder in einer hippen Weinbar anzutreffen ist und mindestens 15 Anläufe braucht, um ein (!) Selfie mit einem Weinglas in der Hand für Instagram zu machen, das ihren Ansprüchen genügt.