Inhaltsverzeichnis
- Tigist Getnet (26), Gastronomin
- Algaye Geremew (38), Töpferin
- Frehiwot Temesgen (24), Café-Betreiberin
- Muiye Tadesse (28), Näherin
- So könnt ihr helfen:
- Über die Organisation ‚Menschen für Menschen‘
Wenn der 18-Stunden-Arbeitstag um vier Uhr morgens beginnt, würden die meisten Frauen in Deutschland das nicht als „komfortables Leben“ bezeichnen. Vor allem dann nicht, wenn man dabei umgerechnet 2,80 Euro verdient. Ich habe jedoch vier Frauen in Äthiopien kennengelernt, die genau das tun. Sie haben sich mithilfe der Organisation ‚Menschen für Menschen‚ selbstständig gemacht. Wir zeigen euch, wie ihr Alltag aussieht und wie sie in einem männerdominierten Land ihre Unternehmen aufgebaut haben.
Sie sind zwischen 24 und 38 Jahre alt, seit Jahren verheiratet, haben bis zu sechs Kinder und sind alle ihr eigener Boss. Die meisten verdienen inzwischen sogar mehr als ihre Ehemänner und das obwohl in Äthiopien ganze 62% der Frauen nicht einmal richtig lesen können.
Zudem wird fast jede zweite Frau noch vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet (Unicef, Stand 2013). Dann folgt eine Abwärtsspirale: Die Frauen brechen die Schule ab, werden jung Mutter und enden schließlich in finanzieller Abhängigkeit von ihrem Mann.
Es gibt jedoch Hilfsorganisationen, die genau da ansetzen wollen. Eine davon ist ‚Menschen für Menschen‘. Ihr Ziel: Die Gesellschaft verändern, indem sie Frauen unterstützen.
Der Plan: Die Organisation vergibt Mikrokredite, mit denen sich die Frauen selbstständig machen können. Dann verdienen sie Geld, bekommen neues Selbstbewusstsein, werden unabhängig von ihren Männern. Schließlich können sie es sich auch leisten, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Ihre Töchter, also die nächste Generation, müssen dann schon nicht mehr früh heiraten. Sie können später auf eigenen Beinen stehen.
Ich bin mit ‚Menschen für Menschen‘ nach Äthiopien geflogen und habe einige dieser starken Frauen kennengelernt, die sich mit ihrer Hilfe selbstständig gemacht haben.
Tigist Getnet (26), Gastronomin
Wenn man in Äthiopien erkennen möchte, ob es einem Menschen finanziell gut geht, muss man nur einen Blick auf die Füße werfen: Trägt die Person Schuhe, so gehört sie nicht zu den Armen. Die 26-jährige Tigist trägt nicht nur Schuhe, sie trägt auch Silberschmuck und schwarzen Nagellack.
Sie hat mit dem Geld, das sie über einen Mikrokredit bekommen hat, ein Restaurant eröffnet. Auf den ersten Blick dachte ich, es sei eine Ruine. Mit einem Restaurant, wie wir es in Europa kennen, hat ihr Lokal so gut wie gar nichts gemeinsam.
Das Haus hat zwei Etagen mit jeweils drei Wänden und einem für Äthiopien typischen Wellblechdach. Doch eben dieses Haus ist in der Stadt eine kleine Sensation: Tigist ist die einzige Frau, die ein derartiges Haus gebaut hat. Im unteren Stockwerk ist ihr Restaurant und das obere baut sie gerade zu einer Bar aus. Außerdem ist es solide – die Wände bestehen aus Beton. Die meisten Hütten in der Stadt haben Wellblechwände, manche bestehen aus Lehm und Mist.
Jeden Tag besuchen etwa 100 Menschen Tigists Restaurant, damit macht sie täglich etwa 500 Birr Gewinn. Das durchschnittliche Einkommen für Äthiopier liegt pro Monat bei etwas über 1500 Birr. So viel verdient sie an drei Tagen. Selbst wenn sie am Ende des Monats ihre vier Angestellten bezahlt hat, können sie und ihr Mann von dem Geld leben und ihre vier Kinder versorgen. So oft Mikrokredite auch kritisiert werden: Tigist hat damit eine Erfolgsgeschichte geschrieben.
Algaye Geremew (38), Töpferin
Von der Hauptstadt Äthiopiens fährt man etwa 10 Stunden, um nach Wogdi zu kommen. Dort lebt die 38-jährige Algaye. Große Teile der Strecke sind nicht asphaltiert. Man muss mit einem Geländewagen über Stock und Stein fahren. Am Straßenrand liegen oft umgestürzte LKW oder Busse. Die meisten Menschen in Wogdi haben die Hauptstadt noch niemals gesehen.
Algaye hat früher davon geträumt für die Regierung zu arbeiten. Doch mit 15 wurde sie verheiratet. Damit endete für sie, wie für so viele andere Mädchen auch, die schulische Laufbahn. Heute hat sie sechs Kinder, betreut mit ihrem Mann Ackerland und arbeitet als Töpferin. Ihr Tag beginnt für gewöhnlich um 6 Uhr morgens und endet irgendwann in der Nacht.
Früher mussten sie vom Ackerbau leben, doch das Geld reichte nicht. Algaye begann sich mit dem Töpfern etwas dazu zu verdienen. Sie mischte lehmhaltige Erde vom Feld vor ihrem Haus mit Wasser und brannte die Töpfe mit Feuer in einem Erdloch. 7 bis 8 Birr konnte sie für so einen Topf verlangen. Das sind etwa 9 Cent.
Dann nahm sie einen Mikrokredit auf und kaufte sich eine Töpferscheibe. Die Hälfte der Kosten trug sie, die andere ‚Menschen für Menschen‘. Umgerechnet hat sie 56 € dafür bezahlt. Das entspricht dem durchschnittlichen Monatseinkommen eines Äthiopiers. Doch dadurch wurden ihre Töpfe schöner: Sie bekamen eine gleichmäßige Form und glatte Oberfläche. Algaye kann für ihre Töpfe nun das Fünffache verlangen. Für ihre Kaffeekrüge sogar das Sechsfache. Damit verdient sie in ihrem Nebenjob nun den Betrag, den sie damals für das Gerät bezahlt hat – jeden Monat.
Fragt man die sechsfache Mama nach ihrem Leben jetzt, sagt sie, es sei „sehr komfortabel“. Andere Händler müssen ihre Ware auf dem Markt verkaufen. Einmal pro Woche macht Algaye das auch, den Rest der Zeit kommen die Kunden zu ihr. Ihre Tochter hat dank ihr außerdem das geschafft, wovon Algaye immer geträumt hat: Ihr ältestes Kind arbeitet inzwischen für die Regierung.
Frehiwot Temesgen (24), Café-Betreiberin
Die 24-jährige Frehiwot hat sich ihr Leben eigentlich ganz anders vorgestellt. Ärztin wollte sie werden. Stattdessen heiratete sie, bekam mit 16 ihr erstes Kind. Als sie die Möglichkeit für einen Mikrokredit bekam, betrachtete sie dies als Chance, ihr Leben zu verbessern. Sie gehört allerdings nicht unbedingt zu den Erfolgs-Geschichten.
Frehiwot nimmt drei Kreditrunden in Anspruch. Das entspricht der Maximalanzahl, einen weiteren Mikrokredit würde sie nicht bekommen. Von dem Geld kauft sie Möbel für ihr Café, einen Kühlschrank und sogar eine europäische Kaffeemaschine für 24.000 Birr. Umgerechnet sind das 750 Euro. Unglaublich viel Geld in der äthiopischen Kleinstadt, in der sie lebt.
Doch der Plan geht nicht ganz auf: Die Kunden trinken lieber äthiopischen Kaffee. Er schmeckt ihnen besser und ist deutlich günstiger. Frehiwot macht gerade einmal 40 Birr Gewinn am Tag – etwa 1,20 Euro. Bei 20 Arbeitstagen im Monat käme sie so gerade einmal auf 24 Euro. Das ist auch für äthiopische Verhältnisse unterdurchschnittlich. Ihr Mann verdient jedoch noch weniger.
Muiye Tadesse (28), Näherin
Die 28 Jahre alte Muiye Tadesse hat keinen Mikrokredit aufgenommen. Dafür aber an einem Schneiderinnenkurs von ‚Menschen für Menschen‘ teilgenommen und eine Nähmaschine gekauft. Die Hälfte der Kosten hat sie getragen, die andere Hälfte die Hilfsorganisation. 155 Euro kostet so eine Nähmaschine.
Muiye macht etwa vier bis fünf Maßanfertigungen an einem Tag. Ein maßgeschneidertes Kleid kostet bei ihr zwischen 2 und 4 Euro. Doch die junge Frau beweist ein echtes Händchen für Finanzen: Sie investiert ihren Gewinn in Immobilien.
Sie hat auf ihrem Grundstück ein Gebäude gebaut, in dem sie Zimmer vermietet. Jedes hat einen separaten Eingang und kostet 150 Birr (4,50 €) Miete pro Monat. Sieben Zimmer hat sie bereits vermietet, vier weitere baut sie schon. So hat sie schon jetzt ein passives Einkommen von 1050 Birr jeden Monat. Das alleine entspricht schon fast dem monatlichen Durchschnittseinkommen in Äthiopien. Weitere 600 Birr kommen an Mieteinnahmen dazu, sobald die restlichen Zimmer fertiggestellt sind. Und dann haben wir Muiyes Lohn und den ihres Mannes noch nicht miteingerechnet.
Man kann also sagen, dass Muiyes Familie gut lebt. Und sie hört nicht auf zu träumen: Die zweifache Mama hätte gerne zwei weitere Kinder und vielleicht eines Tages ein Auto.
So könnt ihr helfen:
Ein Mikrokredit für eine Frau kostet 220 € – auch für deutsche Verhältnisse nicht wenig Geld, aber bei weitem keine Existenzgründung. ‚Menschen für Menschen‘ leitet jedoch viele Projekte in Äthiopien – von Schulen, über Straßenbau, bis hin zu Augenoperationen. Man kann also mit einer allgemeinen Geldspende helfen oder sogar im Spendenshop bestimmte Projekte finanzieren.
Über die Organisation ‚Menschen für Menschen‘
‚Menschen für Menschen‘ wurde von Karlheinz Böhm ins Leben gerufen. Der in Deutschland extrem populäre Sissi-Darsteller löste durch eine Wette in der Sendung ‚Wetten, dass… ?‘ eine wahre Spendenlawine aus. Nach der Hungersnot in der Sahelzone wettete er, dass „nicht einmal jeder dritte Zuschauer eine Mark, einen Schweizer Franken oder sieben Österreichische Schilling für Menschen in der Sahelzone“ spenden würde. Es kamen jedoch 1,2 Millionen DM zusammen. Damit war die Organisation ‚Menschen für Menschen‘ geboren.