Auf dem Bildschirm sehe ich eine Frau, die seit über 20 Stunden in den Wehen liegt. Die Gebärende gibt alles. Aber die Werte des Kindes werden schlechter. Hebamme und Ärztin teilen der Mutter mit, dass eine Sektio (Kaiserschnitt) nicht zu verhindern ist. Die Hebamme streichelt die Frau, redet leise mit ihr.
Ich merke plötzlich, wie mir beim Zusehen die Tränen kommen. Zum einen bin ich zurückversetzt in die Zeit der Geburt meines ersten Kindes. Zum anderen bin ich erleichtert. Denn das, was ich hier sehe, habe ich so im deutschen Fernsehen noch nie gesehen.
„Push“, heißt die 6-teilige Drama-Serie, die in der ZDF Mediathek gratis verfügbar ist. Im Zentrum der Serie stehen die Hebammen Nalan (Mariam Hage), Anna (Anna Schudt) und Greta (Lydia Lehmann), die mit den ständigen Herausforderungen von Geburtskomplikationen umgehen müssen.
Die erfahrene Anna ist immer für alle da, selbst das Ende ihrer Ehe steht im Schatten ihres Jobs. Nalan ist Mitte 30, sie hat mit einer ganz anderen Herausforderung zu tun: Jeden Tag begleitet sie hingebungsvoll den Moment der Geburt, während sie sich selbst sehnlichst ein Kind wünscht. Und Greta, die Hebammenstudentin, möchte so viel wie möglich von ihren Kolleg*innen lernen, hinterfragt dabei aber auch das System.
Die Drehbuchautorin Luisa Hardenberg blickte beim ersten Pitch der Serie im Jahr 2019 zunächst in ratlose Gesichter der vornehmlich männlichen Zuhörer. Für diese sei es kaum vorstellbar, wie man aus dem Thema eine Serie mit mehreren Folgen entwickeln könne.
„Sinngemäß hieß es: Was willst du nach ein, zwei Geburten noch erzählen? Dieses Unwissen darüber, wie umfangreich die Erfahrungswelt von Frauen ist, die Kinder bekommen oder – ob gewollt oder ungewollt – keine Kinder bekommen, hat mich nur noch mehr darin bestärkt, eine Serie wie ,Push‘ zu erzählen“, so Luisa Hardenberg.
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Hebamme begleitet Dreharbeiten
Die selbstständige Beleghebamme Christiane Hammerl (s. Bild) stand der Autorin Luisa Hardenberg schon in einem frühen Stadium des Drehbuches zur Seite. Später begleitete sie die Dreharbeiten, über die sie uns im Interview mehr erzählt.
Was Christiane vor allem gegen den Strich geht, ist die ständige Bewertung von Körpern, Schwangerschaften, Geburten und Geburtsverläufen: „Ich erlebe oft, dass Frauen gefragt werden: Und, hast du es mit oder ohne PDA (Abk. für Periduralanästhesie: Verfahren zur Schmerztherapie während der Geburt) gemacht? Als würdest du dafür irgendein Diplom kriegen. Dabei ist es doch wunderbar, dass es das in der heutigen Zeit gibt! Genauso ist es mit der Bauchgeburt. Warum muss alles immerzu bewertet werden?“
Christiane Hammerl sitzt mir gegenüber im Redaktionsbüro. Sie hat genau eine Stunde, dann muss sie ins Krankenhaus zu einer Geburt. Sie ist ein ausgesprochen positiver Mensch, spricht sehr bestimmt, sehr klar.
Seit 20 Jahren arbeitet sie in diesem Beruf, hatte vorher bereits die Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Seit 2020 ist ein Studium notwendig, um Hebamme oder Entbindungspfleger zu werden. Christiane Hammerl betreut mittlerweile auch Hebammenstudent*innen.
„Ich erlebe oft, dass Frauen gefragt werden: Und, hast du es mit oder ohne PDA gemacht? Als würdest du dafür irgendein Diplom kriegen. Warum muss alles immerzu bewertet werden?“
Christiane Hammerl
Anne-Kathrin Heier: Liebe Christiane, klammern wir die weniger glamourösen Momente rund um das Schwangersein und die Geburt gesellschaftlich noch immer zu sehr aus?
Christiane Hammerl: „Ja, ganz sicher sogar. Es ist herausfordernd für schwangere Frauen, sich auf die Geburt vorzubereiten, da jede Schwangerschaft und Geburt einzigartig sind. Pro Monat begleite ich etwa fünf Geburten, das heißt, im Schnitt eine pro Woche.
Obwohl ich die Frauen vorher intensiv kennenlerne, kann es immer völlig anders kommen als erwartet. Das wird in der Serie ,Push‘ gut dargestellt. Da gibt es zum Beispiel eine Frau namens Nora, die ein viertes Kind per Kaiserschnitt bekommen möchte. Kurz vor dem Termin meldet sie sich mit Ängsten, weil sie das Baby nicht mehr so stark spürt.
Die Szene zeigt, dass auch bei einem geplanten Kaiserschnitt unerwartete Dinge passieren, wie das Platzen der Fruchtblase oder frühzeitige Wehen, die Sorgen oder Bedenken auslösen können. Die Serie verdeutlicht sehr gut, wie wichtig in solchen Situationen die Hebamme ist.“
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Du hast als Beraterin die Dreharbeiten von „Push“ begleitet. Wie sah das konkret aus?
„Während Luisa Hardenberg das Drehbuch schrieb, stellte sie mir Fragen: Was waren ganz besondere Geburten, die du miterlebt hast? Oder auch: Wie reagierst du, wenn dich eine Frau anruft und sagt, sie habe einen Blasensprung?
Luisa hat mich mehrmals durch meinen Berufsalltag begleitet. Als das Drehbuch fertig war, habe ich es nach und nach gelesen und Anmerkungen dazu gemacht. Später war ich während der Dreharbeiten vor Ort, habe den Schauspieler*innen zum Beispiel gezeigt, wie man eine Blutdruckmanschette anlegt oder wie man Wehen veratmet; manche haben (noch) kein Kind, bei anderen ist es zu lange her.
Ich habe darauf geachtet, dass es sich möglichst realistisch anhört und anfühlt. Für eine Szene habe ich mir eine echte Plazenta ,ausgeliehen‘ (siehe Bild).“
Merkst du Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Hebammengenerationen?
„Auf jeden Fall. Ich bin ja zudem noch Praxisanleiterin, also kooperiere mit verschiedenen Unis, viele Studierende laufen bei mir mit, so wie Greta bei Anna in der Serie immer mitläuft. Die um die 20-Jährigen haben doch noch mal eine andere Work-Life-Balance.
Da merke ich mit meinen 45 Jahren: Oh ja, stimmt! Ich kann ja auch einfach mal sagen, Samstag ist mein Handy aus. Was in meinem Fall wegen der Rufbereitschaft nicht geht, aber ich kann von ihnen schon nochmal viel lernen.
Und ich muss auch sagen: Die älteren, festangestellten Kolleginnen – und mit älter meine ich jetzt, die in den nächsten fünf Jahren in Rente gehen – die können auch einfach nicht mehr. Der andauernde Schichtdienst ist extrem anstrengend.“
Hat dich der Job auch schon an den Rand deiner Kräfte gebracht?
„Ich sag es mal so: Selbst wenn ich im Lotto gewinnen würde – und ich spiele kein Lotto – dann würde ich trotzdem so weiterarbeiten, wie ich das jetzt mache, weil ich es total gern mache. Aber ich evaluiere für mich schon immer wieder neu: Wie viele Frauen pro Monat nehme ich an?
Oder ich schränke meinen Kreis ein: Ich selbst wohne in Berlin-Pankow, bin in Friedrichshain in der Klinik und die Praxis ist in Mitte, und ich schaue, dass die Frauen, die ich annehme, in diesem Dreieck wohnen. Es war für mich wichtig, andere Bedingungen zu schaffen.“
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Dieser Artikel erschien erstmals bei unseren Kolleg*innen von Edition F. Die Autorin Anne-Kathrin Heier ist Redaktionsleitung von Edition F.