Inhaltsverzeichnis
- Pupaphobie: Die Angst vor Puppen
- Als die Puppen laufen lernten
- „Alte Ängste leben in modernem Gewand weiter“
- „Jungs spinnen, Männer morden“
- Wenn Kinder Puppen werden
- Der ganz normale Horror
- Die Puppe ist tot – lang lebe die Puppe
Für jemanden wie mich, der schon bei Furbys mit ihren Klick-klick-Augen ausflippt, sind Puppen in Horrorfilmen das Nonplusultra in Sachen Grusel.
Aber woher kommt die Angst vor dem harmlosen Kinderspielzeug? Und warum sind Horror-Puppen im Kino aktuell so beliebt wie nie?
Exklusiv für gofeminin ist der Kriminalbiologe, Grusel-Experte und Puppenskeptiker Mark Benecke dem Thema mit mir auf den Grund gegangen. Und hat mir gezeigt, dass Puppen auch nur Menschen sind.
Pupaphobie: Die Angst vor Puppen
Offiziell heißt die Angst vor Puppen „Pupaphobie“. Kein Scherz. Dabei handelt es sich um eine Unterform der „Automatonophobie“, bei der sich die Betroffenen vor unbelebten Wesen fürchten, die so wirken, als seien sie lebendig. Wie Puppen eben. Oder Androiden.
Mark Benecke erklärt diese Angststörung mit dem „Uncanny Valley“. Der Ansatz kommt ursprünglich aus der Robotik und verweist auf die nicht ganz perfekte Ähnlichkeit mancher Puppen, Roboter und Trickfiguren mit echten Menschen.
„Das findet eigentlich jede und jeder gruselig: Dieser starre Blick, die ganz leicht falsche Mimik. Angstgestörte empfinden das verstärkt, sodass es ihren Alltag stört“, so Benecke.
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Als die Puppen laufen lernten
In Horrorfilmen wird die unheimliche Ähnlichkeit von Puppen mit Menschen auf die Spitze getrieben, indem sich die eigentlich unbewegten Objekte von selbst bewegen. Und wer schon einmal gesehen hat, wie falsch es einfach aussieht, wenn diese kleinen Puppenbeinchen im Film über die Dielen flitzen, weiß, wie sich Pupaphobie anfühlt.
Doch selbst wenn die Horror-Puppe still da sitzt, käme niemand auf die Idee, sie für unschuldig zu halten. Bei Filmen lehrt das schon die Konvention. So merken auch die Protagonisten recht schnell, dass die starren Puppenaugen in Wahrheit gar nicht so starr sind und ständig alles und jeden um sich herum beobachten.
Das Ganze erinnert ein wenig an die Schwarze Romantik des 18. Jahrhunderts. Hier war es meist die Natur, die sich plötzlich verselbständigt hat. Wo die Nacht zum Fenster hineingeschaut hat, statt der Mensch in die Nacht hinaus. Und von der sogenannten Schauerromantik ist es wiederum nur ein Katzensprung zum Horrorfilm und zu Puppen, die Amok laufen.
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„Alte Ängste leben in modernem Gewand weiter“
Puppen sind die neuen Zombies: Im Kino erleben Horror-Puppenfilme zurzeit ein buchstäbliches Revival. So kam 2019 mit ‚Annabelle 3‘ bereits der dritte Ableger aus dem ‚The Conjuring‘-Franchise auf den Markt. Im selben Jahr bewiesen die Chucky-Macher mit ‚Child’s Play‘, dass selbst Horror-Puppen mal einen Reboot gebrauchen können.
Und nun kommt mit ‚Brahms: The Boy 2‘ am 20. Februar 2020 der nächste Puppen-Horrorfilm in die Kinos. Dabei ist auch Brahms längst kein Unbekannter mehr. Schon 2016 lehrte uns die Porzellanpuppe mit dem akuraten Seitenscheitel als ‚The Boy‘ das Gruseln.
Ob der neue Teil am Ende einen ähnlich fulminanten Twist für Horrorfans in petto hat, bleibt abzuwarten. Was jedoch im Vergleich zu Annabelle, Chucky und Konsorten auffällt, ist Brahms zeitgemäßer Look.
Dazu Mark Benecke: „Ich find’s gut, dass ‚The Boy 1 & 2‘ den Sprung in die saubere HD-Optik und zu modernen Menschen geschafft haben. Die Puppe sieht super aus, nicht wie in Omas Puppenreparaturstube mit Rüschen und Bullshit. Alte Ängste sterben nicht, sondern leben in modernem Gewand weiter.“
Menschen mit Pupaphobie könnte die Horror-Puppe 2.0 allerdings noch mehr zu schaffen machen. Schließlich ist der Horror vor Puppen mit Brahms so realistisch wie nie.
Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass der erste Teil der ‚The Boy‘-Reihe eher in Richtung Psycho-Thriller als Horror geht. So steckt in Brahms doch deutlich mehr Menschliches als in seinen durch und durch dämonischen Puppenkollegen ‚Annabelle‘ (2014) oder ‚Robert‘ (2015).
„Jungs spinnen, Männer morden“
Auf dem weiten Feld der Horror-Puppen fristet die gute Annabelle übrigens ein recht einsames Dasein. Aber wie kommt es, dass hier ausgerechnet Puppen als klassisches „Mädchenspielzeug“ so gut wie immer männlich sind?
Ein psychologischer Grund dafür könnte die pubertäre Umschichtung sein, erklärt Mark Benecke. „Die Mädels haben mit der männlichen Puppe ihren ersten Jungs-Kontakt und das geht laut Uroma bekanntlich nie gut: Jungs spinnen, Männer morden.“
Männliche Puppen werden in der Pubertät also vom lieben Spielzeug zum bösen Feindbild umgedeutet. Das macht Puppen-Horrorfilme gewissermaßen zu Coming-of-Age-Movies. Episch. Ich bekomme spontan Lust, zu dem Thema zu promovieren.
Gleichzeitig beobachtet Mark Benecke eine Entsexualisierung von Puppen. Horror-Puppen wie Brahms seien eher androgyn und wirken fast geschlechtslos.
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Wenn Kinder Puppen werden
Dadurch rücken die Puppen wiederum weiter weg von Erwachsenen – hin zu den Kindern. Hier ist die Ähnlichkeit mit den lebensgroßen Puppen besonders creepy.
Nicht umsonst werden unheimliche Kinder in Horrorfilmen häufig mit einer Puppe in der Hand dargestellt. Sozusagen als Vorahnung des nahenden Grauens.
Und weil die Kleinen so ein leichtes Opfer sind, ergreift der böse Geist in der Puppe natürlich mit Vorliebe Besitz von ihnen. Immerhin geht es den meisten Puppen-Bösewichten darum, eine fleischliche Hülle für den inneren Dämon zu finden.
Dann fangen die Kinder plötzlich an, verrückt zu spielen. Zur Potenzierung des Schreckens werden den Puppen im Kinderzimmer die Arme und Beine ausgerissen. Und wenn so ein berühmtes Horrorsymbol wie die Puppe brutal zerstört wird, verdeutlicht das, wie absolut evil dieses Kind sein muss.
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Der ganz normale Horror
Aber auch ohne übersinnliche Elemente, hat die Angst vor Horror-Puppen viel mit dem Thema Kinder zu tun, wie Mark Benecke meint. Bilder von toten Kindern, die den unbelebten Puppen so stark gleichen, erinnern an den ganz realen Horror vieler Eltern, wie etwa den plötzlichen Kindstod.
„Und dann gibt es noch die sehr vielen Kids, die sexuelle Handlungen erleben müssen, bevor sie damit irgendetwas anfangen können. Daneben liegt ziemlich oft eine Puppe, denn dieser Missbrauch findet meist unter Verwandten und daheim statt“, so Benecke zu dem tief sitzenden Puppen-Trauma vieler Menschen.
Wenn es keine sicheren Räume mehr gibt und selbst eine Puppe böse sein kann, dann ahnt man laut Benecke: „Das Kind in dir kann kein Kind mehr sein“. Eine Wahrheit und eine Angst, mit denen der Genrefilm seit jeher gerne spielt.
Die Puppe ist tot – lang lebe die Puppe
Das erklärt, warum die Angst vor Horror-Puppen so normal ist. Und genau deshalb wird es immer Horrorfilme mit Puppen geben. Selbst wenn die Puppe am Ende zerstört wird: Anders als im echten Leben wird irgendjemand kommen und die Scherben wieder zusammenflicken. Wetten?
Wie könnte die Zukunft des Puppen-Horrors so aussehen? Ich fände es ja klasse, wenn den Horror-Puppen der Horror nicht mehr so deutlich ins Gesicht geschrieben wäre.
Mark Benecke sieht das scheinbar ähnlich. Er fantasiert schon von Crossover-Movies, in denen nicht nur Horrorgrößen wie Jason oder Freddy Krüger auf ‚The Boy‘ Brahms treffen, sondern auch harmloses Kinderspielzeug mitmischt. Das ‚Toy Story‘-Universum auf Abwegen – ich sehe es genau vor mir.
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Übrigens hat Mark Benecke noch einen Tipp für alle mit Pupaphobie. So rät er dazu, „Puppen weiträumig zu meiden und diesen Wunsch auch Freundinnen und Freunden ruhig und ernst mitzuteilen: Keine Faxen, keine Pranks“.
Außerhalb von Horrorfilmen soll ein Leben ohne Puppen so durchaus denkbar sein. Munkelt man.
Alle anderen: Seht Horrorfilme mit oder ohne Puppen einfach als „Notfall-Übung“, wie Benecke es nennt. Denn es kann durchaus entspannend sein, sich seiner verpuppten Angst zu stellen.
Was uns so sicher macht? Dazu Mark Benecke: „Dass es zuhause ‚garantiert‘ nicht so schlimm ist wie im Film und zweitens, dass ich den Horror durch- und überlebt habe — mit lecker Popcorn und FreundInnen.“